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trügen. Wenn man alles in allem nähme, nicht nur das Gut, sondern
auch das Blut, dann könne man sagen, daß die von Polen getragenen
Opfer nicht an die Opfer heranreichten, die Deutschland sich auferlege.
Der polnische Staatsrat, gewissermaßen die Urzelle des künftigen polnischen
Staatswesens, sei mit beratenden Befugnissen bei der Gesetzgebung aus-
gestattet, ferner mit der Mitwirkung an der Schaffung staatlicher Ein-
richtungen betraut und werde schließlich bei Ausübung der Verwaltung in
dem Umfange, den die Verhältnisse gestatteten, herangezogen. Die Ungeduld
der Polen, auch dem Staatsrate gegenüber, und der Vorwurf, der Ausbau
des Staatswesens gehe zu langsam vor sich, seien begreiflich. Allein ab-
gesehen von den Kriegsverhältnissen mache die große Zersplitterung Polens
auf dem Gebiete der Konfessionen, Nationalitäten und vor allem auch der
Parteien, im Verein mit dem gänzlichen Mangel an geschulten polnischen
Beamten, die erst herangebildet und einstweilen durch deutsche Beamte er-
setzt werden müßten, diese Aufgabe doppelt schwierig. Der Staatssekretär
kommt zu dem Schluß, daß die von den Zentralmächten mit der Pro-
klamation vom 5. Nov. 1916 angekündigte Polenpolitik auch heute noch die
einzig richtige und mögliche sei.
Abg. Nehbel (Kons.) teilt mit, die auch dem Offizierkorps unerwünschte
Grußpflicht in Ober-Ost sei wieder aufgehoben worden.
Zum Schlusse wird folgende gemeinsame Entschließung angenommen,
den Reichskanzler zu ersuchen, dafür Sorge zu tragen, daß 1. sämtlichen
im Reiche beschäftigten Arbeitern aus dem Okkupationsgebiet Polens und
Litauens — unbeschadet der polizeilichen, allen Ausländern gegenüber ge-
übten Kontrolle — im Verhältnis zum Arbeitgeber gleiche Rechte wie den
einheimischen Arbeitern gewährt werden, insbesondere das Recht zum Wechsel
der Arbeitsstätte; 2. daß diese Arbeiter nicht gehindert werden, nach Ab-
lauf des Dienstvertrages in die Heimat zurückzukehren.
3. Mai. Die großen wirtschaftlichen und nationalen Ver-
bände erlassen folgenden Aufruf gegen einen Verzichtfrieden:
In Schlachten von niemals geahnter Ausdehnung und Furchtbarkeit
stehen unsere unvergleichlichen Heere im Entscheidungskampfe um Sein und
Nichtsein des Reiches. Arbeiter und Fürstensöhne, der Landmann und der
Handwerker, der Gelehrte und der Kaufmann, alle Berufsstände wetteifern,
einen lebendigen Wall zum Schutze des Vaterlandes zu bilden. Und wir
in der Heimat? Wir dürfen jetzt nur den einen Gedanken haben, der unser
Dasein ausfüllen soll: Auch an unserer Stelle das Höchste zu leisten, was
menschliche Kraft vermag, um das Rüstzeug für die Front zu schaffen und
um wirtschaftlich durchzuhalten bis zum siegreichen Ende. Wie aber sollen
wir in Zukunft durchhalten, wenn im eigenen Volke die Forderungen nach
einem Frieden ohne Kriegsentschädigung und ohne Gebietserweiterung un-
widersprochen sich erheben? Niederdrückend, lähmend und beschämend zu-
gleich müssen alle vaterländisch gesinnten Kreise solche Forderungen em-
pfinden. Wir brauchen Entschädigungen für die ungeheuren Opfer
unseres Volkes, um unser wirtschaftliches, kulturelles und soziales Leben
auch nach siegreichem Frieden wieder aufbauen und die Fürsorge für die
Kriegsbeschädigten und Hinterbliebenen unserer gefallenen Helden sicher-
stellen zu können. Es gilt, unsere Grenzen besser zu schützen, unsere See-
geltung zu stärken und durch Erweiterung unserer Rohstoffgewinnung unsere
Industrie zu fördern und unsere Rüstung zur Verteidigung des Bater-
landes sicherzustellen. Wir brauchen Siedlungsland für die Kräftigung
unseres Bolkes und für die Mehrerzeugung von Nahrungsmitteln. Ein
Frieden unter Verzicht auf jede Forderung schafft unserem Volke keine Er-