124 Bie #ftrrrrichistz#u#rische Menarc#ie. (Juni 22. 23.)
sam mit der Christlichsozialen Vereinigung wird daher der D. N. sofort
daran gehen, alle deutschen Parteien zu einem einheitlichen Vorgehen
u vereinigen. Der Vorstand wird beauftragt, die erforderlichen Vor-
ereitungen unverzüglich zu treffen. Es muß in der böhm. Frage, in dem
Verhältnis zu den Polen und in der südslaw. Frage ein Einverständnis
erzielt werden. Das Verhältnis der Nationalitäten zum Staate muß klar-
gcheut und dem deutschen Volke jene Stellung gesichert werden, wie sie
das Staatsinteresse verlangt. Nur wenn die Deutschen selbst sich zusammen-
finden und alle Kräfte vereinigen, kann in wirtschaftl. und kultureller Be-
ziehung nach der früheren Rückständigkeit und den Zerstörungen des Krieges.
wieder eine Periode der Gesundung und des Fortschrittes beginnen.
Dieser Einigungsversuch mißlingt, da am 25. der Klub der
christl.-soz. Reichsratsabg. Tirols einhellig beschließt, an der vom
Deutschen Nationalverbande vorgeschlagenen Bildung eines sämtliche Ab-
geordnete deutscher Zunge umfassenden großen deutschen Blocks aus
taktischen und programmatischen Gründen nicht teilzunehmen. (Diese
Haltung wird mit der Weigerung, mit den Wiener Freisinnigen und Soz. zu-
sammenzugehen, begründet.) Dagegen sprechen sich sämtliche Klubmitglieder-
einhellig dahin aus, daß alle staatstreuen deutschen bürgerlichen Abg. sich zu
gemeinsamer wirtschaftlicher Arbeit im Parlament zusammenschließen sollen.
22. Juni. Tschechische Landesverräter.
Im Immunitätsausschusse des österr. Abgeordnetenhauses macht
Landesverteidigungsminister Frhr. v. Georgi Mitteilungen über das landes-
verräterische Verhalten verschiedener tschechischer Regimenter an der
Front. Unter den Gefangenen in Rußland seien Anwerbungen für die
russ. Armee vorgenommen worden. Der Minister bespricht sodann die
Affäre des früheren Redakteurs der „Narodni Listy“, Parlu, eines Freundes
des verurteilten Dr. Kramarsch, mit dem er lange Zeit in Briefwechsel ge-
standen habe. Parlu habe sich in Rußland öffentlich gerühmt, wie er, der
als Fähnrich in der österr. Armee gestanden, zu den Russen übergegangen
sei und, nachdem er alles ausgekundschaftet, die österr. Feldwache mit seinen
Begleitern niedergemacht hätte und dann zum Feinde geflohen sei. Die
Mitteilungen des Ministers rufen bei den Tschechen große Entrüstung,
hervor, sie erklären, dies sei die Rache des demissionierten Kabinetts, das.
den Tschechen Unannehmlichkeiten bereiten wolle.
23. Juni. Bildung des provis. Kabinetts Seidler.
Der bish. Leiter des Ackerbauministeriums Dr. Ernst Ritter v. Seidler
wird zum österr. Ministerpräsidenten ernannt.
Dr. Ritter v. Seidler, geb. 1862, wurde 1900 als Ministerialsekretär
und Vorstand des neugeschaffenen handelspolitischen Departements ins
Ackerbauministerium berufen, 1903 zum Sektionsrate,. 1906 zum ord. Prof.
des Verfassungs- und Verwaltungsrechtes an der Wiener Hochschule für
Bodenkultur, 1908 zum Ministerialrat im Ackerbauministerium, 1909 zum
Sektionschef ernannt. Am 1. Juni 1917 (s. S. 90) wurde er mit der
Leitung des Ackerbauministeriums betraut. Seit 1901 ist er Privatdozent
für Verwaltungsrecht an der Wiener Univ.; 1914 erhielt er den Titel
eines ord. Universitätsprofessors. ErP gehörte zu den Männern, die den
nach der Serajewoer Mordtat plötzlich zur unmittelbaren Thronfolge be-
rufenen Erzherzog in die Staatsverwaltung einführten.
Das noch am gleichen Tage ernannte Kabinett setzt sich folgender-
maßen zusammen: Ministerpräsidium: v. Seidler, Volksernährung: General=
major Hoefer (bereits im letzten Min.), Inneres: Graf v. Toggenburg,
Landesverteidigung: Feldmarschallt. Czapp von Birkenstetten, Handel: