Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

126 Die ãserteiqisq ·aigarise Aenatqie. (Juni 23. -24.) 
ur Regierung gelangten Minoritätsparteien die Indemnität stets als eine 
Vertrankensfrhe betrachteten, sei die Arbeitspartei immer der Ueberzeugung 
gewesen, daß die Indemnität dem Lande und nicht der Regierung bewilligt 
werde. Die Majorität werde daher die Indemnität bewilligen. Allerdings 
habe der Finanzausschuß an Stelle der von der Regierung verlangten 
sechsmonatigen Indemnität bloß eine viermonatige bewilligt. Dies sei 
aus dem Grunde geschehen, weil die Majorität die gegenwärtige Lage als 
ganz unsicher betrachte. Solange die Regierung nicht sagen könne, wovon 
sie die Ausgaben decken wolle, könne die Majorität ein längeres als ein 
viermonatiges Budgetprovisorium nicht bewilligen. 
Am 25. stellt Abg. Graf Tisza bezüglich der Wahlrechtsreform 
einen Kompromißantrag, demzufolge vorläufig nur die Industriearbeiter 
das Wahlrecht erhalten, während durchgreifende Bestimmungen derzeit nicht 
getroffen werden sollen. 
Kultusminister Graf Apponyi lehnt namens der Regierung diesen 
Kompromißantrag ab und erklärt: Nach jahrelangen Erwägungen und in 
vollem Bewußtsein der Verantwortung unterschreibe ich das, was der Minister- 
präsident in seiner Programmrede erklärt hat: Diese Regierung ist die Re- 
gierung der Wahlrechtsreform, sie siegt oder fällt damit. 
Am 26. bekämpft Justizminister Dr. Vaszonyi die gegen die Aus- 
dehnung des Wahlrechts gerichteten Ausführungen des Erchen Tisza. Die 
von Tisza im Jahre 1913 geschaffene Wahlreform sei eigentlich eine Schein- 
reform und Spiegelfechterei gewesen, die die Wählerzahl auf dem Lande 
bloß um 28 Proz., in den Städten um 44 Proz. vermehrte. Graf Tisza 
habe stets jede Ausdehnung des Wahlrechts bekämpft. Als die Lage jedoch 
unhaltbar geworden, habe er seinen unversöhnlichen Standpunkt aufgegeben 
und wollte sich mit einigen Brosamen gegenüber den Forderungen der Zeit 
abfinden. Der Minister bestreitet, daß ein demokratisches Wahlrecht eine 
Gefahr für den Staat oder die Dynastie sei. Die Nation sei eine Pyra- 
mide, an deren Spitze der König steht. Die Spitze sei wohl am sichersten, 
wenn die Grundlage möglichst breit sei. Es habe die Begeisterung für den 
König im Herzen des Volkes gesteigert, daß man wisse, daß der König für 
eine Erweiterung der Volksrechte eingetreten ist. Ungarn dürfe unmöglich 
eine reaktionäre Insel im demokratischen Europa bleiben, und sollte die 
Wahlreform von diesem reaktivnären Abgeordnetenhaus niedergestimmt 
werden und es daher zur Auflösung des Hauses kommen, so würden die 
heimkehrenden Verteidiger glücklich sein, zu finden, daß das dankbare Vater- 
land allen seinen Söhnen mehr Recht und mehr Freiheit gewährt. 
Am 27. ergreift zum Schluß der Beratung Ministerpräsident Graf 
Esterhazy das Wort: Das Abgeordnetenhaus habe trotz des Gegensatzes 
in der Wahlrechtsfrage, welcher zwischen den Parteien herrsche, sich ein- 
heitlich für die Annahme des Ermächtigungsgesetzes erklärt. Er erblicke 
darin den Beweis, daß das ganze Land einhellig willens sei, in dem auf- 
gezwungenen und für den Bestand des einheitlichen ung. Staates geführten 
Krieg unerschütterlich durchzuhalten. 
Die Vorlage wird darauf in der Fassung des Ausschusses mit 
141 gegen 127 Stimmen angenommen. (Die Regierung ist also in der 
Minderheit geblieben.) 100 Abg. der Tisza-Partei fehlen. 
Ferner wird die Vorlage betr. das ung.-kroat. Finanzabkommen an- 
genommen. — Am 28. werden beide Vorlagen in dritter Lesung und am 
gleichen Tage auch vom Magnatenhause angenommen. 
23.—24. Juni. (Budapest.) Tagung der deutschen, öster- 
reichischen und ungarischen Wirtschaftsverbände. 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.