Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Dreiunddreißigster Jahrgang. 1917. Zweiter Teil. (58b)

432 Frankreich. (August 3. 4.) 
Die Kammer beschließt zuerst mit 395 gegen 72 Stimmen die Prio- 
rität für diese Tagesordnung und nimmt dann den Wortlaut mit 392 
gegen 61 Stimmen an. 
Im Hinblick auf die ablehnende Haltung der Mehrheit der Soz. gegen- 
über der Regierung während dieser Interpellationsbesprechung berät die 
soz. Kammerfraktion am 3. die Frage, ob A. Thomas noch weiterhin als 
Vertreter der Soz. dem Ministerium angehören könne. Nach Darlegungen 
A. Thomas' wird die Frage mit 56 gegen 9 Stimmen bejaht. 
3. Aug. (Senat.) Annahme des Ges. Mourier (s. S. 426 f.). 
Am gleichen Tage vertagen sich Sen at und Kammer bis z. 18. Sept. 
4. Aug. Programm der franz. Soz. für Stockholm. 
Am 4. veröffentlicht die „Humanit“" den ersten Abschnitt der Ant- 
wort der franz. Sozialisten auf den Fragebogen des holländ.= 
skand. Ausschusses betr. der Kriegsverantwortlichkeiten. Darin wird 
hervorgehoben, daß in erster Linie England und Frankreich sich in die 
Welt teilten, aber auch Amerika habe sich dem Kolonialtriebe nicht ent- 
ziehen können. Marokko sei durch eine Reihe von Gewaltakten in die 
Hände Frankreichs und Spaniens gekommen, ähnlich Bosnien und die 
Herzegowina in den Besitz Oesterreichs, Tripolis unter die Herrschaft Italiene, 
die Balkanstaaten hätten sich, statt einen Balkanbund zu bilden, gegenseitig 
um die Stücke des osmanischen Reiches gerissen, Rußland sei ein ähnlicher 
Streich gegen Japan mißlungen. Deutschland, das spät zu Einigkeit und 
Weltaktion gekommen sei, aber in einer großen wirtschaftlichen Entwicklung 
erstarkte, habe sich notwendigerweise überall an den Konkurrenten stoßen 
müssen. Sein verzehrender Ehrgeiz mußte so die Konfliktsgründe mehren 
und den Augenblick des Konfliktes beschleunigen. Die Sozialisten sprechen 
sodann von den Haager Konventionen, deren Wirkung durch die Geheim- 
diplomatie und die Unwissenheit, in der man die Bölker ließ, verloren 
egangen sei. Aehnlich hätten die Erklärungen der deutschen militärischen 
Frer gewirkt, die immer wieder betonten, daß Gewalt die ultima ratio 
sei. Bei Erörterung der unmittelbaren Ursachen des Krieges er- 
klären die Soz., daß die Juliereignisse von 1914 gezeigt hätten, daß selbf 
die demokratischen Regierungen für den Gedanken des internat. Schieds- 
gerichtsverfahrens nicht genügend gewonnen waren, das sich unabweisbar 
aufgezwungen hätte, wenn man es in die Oeffentlichkeit gebracht baben 
würde. Aus dieser Zurückhaltung gegenüber der Oeffentlichkeit erkläre sich 
das Versagen des Angebots des Zaren auf ein Schiedsverfahren. Jaures 
habe am 31. Juli 1914 daran gedacht, Wilson telegraphisch aufzufordern, 
Europa den Schiedsspruch der Ver. Staaten anzubieten. Seine Ermordung 
habe die Ausführung des Planes verhindert. Die anschließenden Aus- 
führungen über angebliche Ablehnung des Schiedsgerichts seitens Deutsch- 
lands und Oesterreich--Ungarns bezwecken, die völlige und unmittelbare 
Kriegsverantwortung in dieser Hinsicht auf die Mittelmächte zu werfen. 
(Die Anfrage v. Schoens in Paris, ob Frankreich im Falle eines deutsch- 
russischen Konfliktes neutral bleiben würde, ist in dem Schriftstücke nicht 
erwähnt.) Die Thesle, welche die deutschen und österreichischen Sektionen 
manchmal vertreten hätten, daß es sich nicht lohne, die Verantwortlichkeit 
festzustellen, dürfe nicht angenommen werden. Es wird dabei an die Ver- 
handlungen im Juli und August 1914 unter Beteiligung von Jaures, 
Haase und Huysmans erinnert, wo die franz. Kammergruppe der Sozialisten 
aufgefordert worden sei, gegen die Militärkredite zu stimmen oder sich 
wenigstens der Stimme zu enthalten. Die franz. Sozialisten hätten er- 
widert, daß, wenn Frankreich angegriffen und besetzt würde, es an nicht
	        
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