Full text: Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat vom 31. Januar 1850.

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C. 
I. Verfassungsurkunde vom 31. Jannar 1850. Art. 44. 
Verletzungen verweigern und, wenn sie gleichwohl mitwirken, von der Verantwortung ge- 
troffen werden. Die Verantwortlichkeit der Minister bezieht sich nicht bloß auf die 
eigene amtliche Thätigkeit, was ja bei jedem Beamten, sondern auch auf die Regierungs- 
akte ihres nächsten und einzigen Vorgesetzten, des Königs, was bei keinem anderen Be- 
amten der Fall ist. Kein Minister darf sich jemals zu seiner Entschuldigung auf die 
Befehle des Königs berufen, diese erlangen vielmehr erst dann rechtliche Bedeutung, 
wenn die Minister sie sich aneignen und zur Ausführung bringen. 
Hieraus folgt keineswegs, daß der Monarch nur ein Figurant, der Inhaber der 
Staatsgewalt das Ministerium, d. h. der regierende Ausschuß der jeweiligen Parlaments- 
mehrheit sei. Vielmehr ist in Preußen der Monarch nicht lediglich der formelle, sondern 
der wirkliche Jnhaber der Staatsgewalt, die Minister sind seine, nicht des Landtages 
Regierungsorgane, die Regierungsanordnungen sind seine Anordnungen, nicht Anord- 
nungen einer von ihm unabhängigen Staatsregierung. Das Erforderniß der ministeriellen 
Gegenzeichnung hat somit nicht die Bedeutung, die maßgebende Entscheidung in die 
Hände der Miniseer zu legen; der vom Minister gegengezeichnete Königliche Erlaß ist 
und bleibt ein Erlaß des Königs, zu welchem der Minister mitwirkt, nicht ein Erlaß 
des Ministers, welcher bloß vom König unterschrieben ist. Es ist aber wegen der Un- 
verletzlichkeit der Person des Monarchen und zur Aufrechterhaltung der konstitutionellen 
Rechtsordnung bestimmt, daß kein Regierungsakt des Königs rechtliche Geltung hat, 
für den der unverantwortliche Monarch nicht einen Minister findet, der ihn unter eigener 
Verantwortung realisirt. Der Akt des Königs gilt somit zugleich als Handlung des 
verantwortlichen Ministers, der deswegen haftbar gemacht werden kann, weil er, wenn 
auch dem König zu dienstlichem Gehorsam verbunden, sofern er Minister bleibt, doch 
frei in dem Entschlusse ist, ob er Minister bleiben, also die Verantwortung tragen will. 
mDie Bestimmung, daß der Minister durch die Gegenzeichnung die Verantwortung „über- 
nimmt“, ist nicht korrekt. Denn auch ohne Gegenzeichnung sind alle dieienigen Minister 
verantwortlich, welche bei dem betreffenden Akte mitwirken, was insbesondere für den 
Fall klar ist, daß der „Regierungsakt“ in einer Unterlassung, z. B. in einer Ueberschreitung 
der in den Art. 51, 76 gesetzten Fristen besteht. Um aber ohne weitere Beweisführung 
festzustellen, wer von den Ministern mitgewirkt habe, muß der Regierungsakt des Königs 
mindestens von Einem Minister gegengezeichnet, kontrasignirt sein, widrigenfalls er un- 
giltig ist. Die Gegenzeichnung erfolgt also zum Zweck der Sicherung, aber nicht als 
nothwendige Bedingung der Ministerverantwortlichkeit, indem die Minister, welche mit- 
wirken, aber nicht gegenzeichnen, ihrer Verantwortung durch diese Unterlassung keines- 
wegs ledig werden, wogegen allerdings umgekehrt ein Minister, welcher nur gegenzeichnet 
und sonst nicht weiter mitwirkt, die Verantwortung übernimmt. Wie der Wortlaut des 
Art. 44 deutlich zeigt, genügt zur Giltigkeit aller Regierungsakte des Königs die Gegen- 
zeichnung auch nur eines einzigen Ministers und zwar auch dann, wenn, wie in Art. 63, 
nach ausdrücklicher Bestimmung der Verfassungsurkunde der Regierungsakt unter Ver- 
antwortlichkeit sämmtlicher Minister ergeht. Es ist aber eine alte Staatspraxis, daß 
Regierungsakte, welche die Ressorts mehrerer Minister betreffen, eben von diesen mehreren 
und daß Gesetze von allen Ministern gegengezeichnet werden. 
Die Frage, welche Regierungsakte gegenzuzeichnen seien, ist daraus zu beantworten, daß 
es sich um die Verantwortlichkeit nicht gegenüber dem Könige, sondern gegenüber dem 
Landtage und um Regierungsakte, also Willensakte handelt. 
1. Die Gegenzeichnung ist nur für die Wirkung der Willenserklärung des Monarchen 
nach Außen wesentlich. Somit bedürfen Aufträge und Weisungen des Königs an 
die Minister, auch wenn sie in schriftlicher Form erfolgen, der Gegenzeichnung nicht, 
da sie bloß die dienstlichen Beziehungen der Minister zum Könige zum Gegenstande 
haben und weder für die Behörden, noch für die Unterthauen eine unmittelbare 
Wirkung äußern sollen. Daran wird auch durch den Umstand nichts geändert, daß 
ein derartiger Auftrag oder Weisung — etwa im Reichsanzeiger — bekannt ge- 
macht wird. Siehe v. Stengel S. 103. 
2. Nur solche Regierungsakte des Monarchen bedürfen der Gegenzeichnung, welche 
eigentliche Willensakte sind, eine Anordnung oder Verfügung enthalten, also solche 
Akte, auf deren Grund unmittelbar gehandelt werden soll, denn das Recht kennt 
eben nur Willensakte und nur für solche ist eine Verantwortlichkeit möglich. Da- 
gegen bedürfen bloße Gefühls= und Meinungsäußerungen des Monarchen, Prokla- 
mationen an das Volk, Regierungsprogramme und gar Danksagungen für Hul- 
digungen, Beglückwünschungen u. ä. keiner ministeriellen Gegenzeichnung. Dies gilt 
auch von der Thronrede, welche zwar nach wohlbegründetem konstitutionellen Brauche
	        
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