III. Verordn. über rc. des Versamml.= u. Vereinigungsrechtes v. 11. März 1850. 377
welche auch in Bezug auf vorgängige obrigkeitliche Erlaubniß der Verfügung des
Gesetzes unterworfen sind.
Artikel 30.
Alle Preußen haben das Recht, sich zu solchen Zwecken, welche den Straf-
gesetzen nicht zuwiderlaufen, in Gesellschaften zu vereinigen.
Das Gesetz regelt, insbesondere zur Aufrechthaltung der öffentlichen Sicher-
bet, die Ausübung des in diesem und in dem vorstehenden Artikel (29) gewähr-
eisteten Rechts.
Politische Vereine können Beschränkungen und vorübergehenden Verboten
im Wege der Gesetzgebung unterworfen werden.
Das Versammlungs= und das Vereinsrecht sind nicht identisch. Während Vereine
ohne Versammlungen ihrer Mitglieder kaum denkbar sind, können Versammlungen
sehr wohl stattfinden, ohne einen Verein zur Grundlage zu haben, und sind
Verein und Versammlung auch innerlich verschieden. Gleichwohl werden sie von dem
Gesetzgeber zusammenfassend behandelt, werden insbesondere Versammlungen, welche
keinen Verein zu ihrer Grundlage haben, regelmäßig nach denselben Grundsätzen be-
handelt wie Vereinsversammlungen.
Die durch die Verfassungsurkunde gegebenen, für die Spezialgesetzgebung maß-
gebenden Grundzüge des Versammlungs- und Vereinsrechts sind folgende:
1. Versammlungen in geschlossenen, d. h. in solchen Räumen, welche nicht nur
in der Länge und Breite, sondern auch in der Höhe geschlossen sind, dürfen nicht von
einer vorgängigen obrigkeitlichen Erlaubniß abhängig gemacht oder überhaupt obrig-
keitlichen Präventivmaßregeln unterworfen werden, wogegen andererseits die aus all-
gemeinen Gründen der Sicherheit, Wohlfahrt, Sittlichkeit ergangenen polizeilichen An-
ordnungen auch auf sie Anwendung erleiden. Zu Zwecken, welche den Strafgesetzen zu-
widerlaufen, dürfen natürlich keine Versammlungen abgehalten werden, aber die Polizei-
behörde ist nicht befugt, die Mittheilung des Zweckes der Versammlung zu verlangen
oder gar wegen Unterlassung solcher Mittheilung die Versammlung zu verbieten. Da-
gegen darf sie Versammlungen unter freiem Himmel nicht nur von der vorgängigen
obrigkeitlichen Erlaubniß abhängig machen, sondern ganz verbieten.
2. Diejenigen Vereine, welche den Strafgesetzen zuwiderlaufende Zwecke ver-
folgen, sind verboten. Politische Vereine können im Wege der Gesetzgebung vorüber-
gehend oder dauernd beschränkt und vorübergehend verboten werden. Im Uebrigen ist
das Vereinsrecht frei.
3. Die Ausübung des Versammlungs= und Vereinsrechts darf nur durch Gesetz,
nicht durch polizeiliche oder Verwaltungsanordnung geregelt werden. Nur die Aus-
übung darf und zwar darf sie nur geregelt, nicht aber, abgesehen von Versammlungen
unter freiem Himmel und von politischen Vereinen, beschränkt oder ganz gehindert
werden. Der hauptsächlichste Zweck der Regelung ist die Aufrechthaltung der öffentlichen
Sicherheit, nicht aber ist sie der einzige Zweck, indem die Regelung, wie sub 1 bereits
bemerkt, auch im Interesse der öffentlichen Sittlichkeit erfolgen kann. ·
In ihrer Anwendung auf die bewaffnete Macht finden diese Bestimmungen nur
eine sehr eingeschränkte Anwendung. Die Verfassungsurkunde selbst befiehlt in
Artikel 38.
Die bewaffnete Macht darf weder in noch außer dem Dienst berathschlagen
oder sich anders als auf Befehl versammeln. Versammlungen und Vereine der
Landwehr zur Berathung militärischer Einrichtungen, Befehle und Anordnungen
sind auch dann, wenn dieselbe nicht zusammenberufen ist, untersagt.
Artikel 39.
Auf das Heer finden die in den Artikeln 29 und 30 enthaltenen Bestim-
mungen nur insoweit Anwendung, als die militärischen Gesetze und Disziplinar-
vorschriften nicht entgegenstehen.
Zudem hat die Reichsgesetzgebung hier eingegriffen (siehe oben S. 375 Nr. 4).
5. Endlich können die Bestimmungen über das Versammlungs= und Vereinsrecht
nach Art. 111 der Verfassungsurkunde — oben S. 341 — im Fall des Belagerungs-
zustandes, Krieges oder Aufruhrs außer Kraft gesetzt werden.
C. Das in der Verfassungsurkunde vorbehaltene Gesetz zur Regelung der Ausübung des
Versammlungs= und Vereinsrechts ist eben die hier mitgetheilte Verordnung über die
Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des
Versammlungs= und Vereinigungsrechtes vom 11. März 1850. Dieses — sich seltsamer