Spruch des
Reichsgerichts.
Entscheidungs-
deputation.
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Gelingt trotzdem die Ausgleichung der Meinungsverschieden-
heit nicht, unterscheidet die Verfassung.
Betrifft die Meinungsverschiedenheit die Auslegung der Ver-
fassung oder von Gesetzen, oder ein vom Senat oder der Bürger-
schaft auf Grund der Verfassung oder eines Gesetzes behauptetes
Recht, oder die Frage, ob ein Mitglied des Senats oder der
Behörden wegen Verletzung der Verfassung oder eines in an-
erkannter Gültigkeit stehenden Gesetzes zur gerichtlichen Ver-
antwortung zu ziehen sei, so ist die Streitfrage durch das Reichs-
gericht zu entscheiden, und ist sowohl der Senat als auch die
Bürgerschaft berechtigt zu verlangen, dass diese Entscheidung
eintrete. Das Reichsgericht ist, auf Grund eines in Gemässheit
des Artikels 76 der Reichsverfassung erlassenen Reichsgesetzes
vom 14.3. 1881 nunmehr an Stelle des Lübecker Ober-Appel-
lations-Gerichtes, das Artikel 71 der alten Verfassung benannte,
berufen.
Betrifft dagegen die Meinungsverschiedenheit einen anderen
Gegenstand, bei welchem die gemeinschaftliche Beschlussnahme
von Senat und Bürgerschaft geboten ist, so bleibt die Sache bis
zu einer gegenseitigen Verständigung unerledigt. Einseitiges
Vorgehen ist also ausgeschlossen. Stimmen aber beide Teile
darin überein, dass die Entscheidung der Sache selbst ohne
wesentlichen Nachteil für das (Gemeinwesen nicht ausgesetzt
werden dürfe, während sie sich nur über die Modalitäten der
Ausführung nicht verständigen können, dann wird eine Ent-
scheidungsdeputation zur Erledigung berufen.
Zwei Besonderheiten sind statuiert. Handelt es sich um
Prolongation oder Erneuerung eines temporären (Giesetzes, und
ist die Einsetzung der Entscheidungsdeputation vor Ablauf be-
schlossen, gilt das Gesetz als prolongiert bis zur Entscheidung.
Änderung der Verfassung oder solcher gesetzlicher Bestim-
mungen, durch welche Rechte des Senats oder der Bürgerschaft
festgestellt sind, darf niemals durch Ausspruch einer Entscheidungs-
deputation herbeigeführt werden.
Die normale Mitgliederzahl der Entscheidungsdeputation,
welche mit beiderseitiger Zustimmung jedoch vermehrt oder ver-
mindert werden kann, ist 16; die Mitglieder sind je zur Hälfte
aus Senat und Bürgerschaft berufen. Die Bestimmung erfolgt
durchs Los in einer gemeinsamen Sitzung von Senat und Bürger-
schaft, das einzige Mal ausser der Senatorenvereidigung, dass