88. Die Behörden der Rechtspflege und der Verwaltung. 11
Im Anschlusse an die Verfassungsurkunde wurden sodann die Beilagen und Anhänge hiezu be—
kannt gegeben.
Die neue Verfassung mußte von jedem billig Denkenden mit Freude und Dank begrüßt
werden. Sie fand auch außerhalb der Grenzen des Landes einen zum Teile begeisterten Beifall.
In der Tat verdient sie auch, wenn man den Maßstab des damals Erreichbaren anlegt, das von
den Zeitgenossen gespendete Lob. Der beste Beweis ihres inneren Wertes aber liegt darin, daß
sie der Ausgangspunkt einer geordneten staatsrechtlichen Entwicklung Bayerns geworden ist.
Der Entwurf, wie er aus den Beratungen von 1814/15 hervorgegangen war, hätte kaum
eine solche Lebensfähigkeit bewährt. In der entscheidenden Angelegenheit, der Zusammensetzung
der Kammern und der Bestimmung ihrer Rechte, war jener Entwurf geradezu ungenügend.
In diesem für den Wert des Verfassungswerkes maßgebenden Punkte gelang es, besonders
infolge des entschiedenen Eingreifens des Kronprinzen, bei den Beratungen von 1818 nicht nur ein
Zurückgehen hinter die früheren Beschlüsse zu verhindern, sondern auch die rechtliche Stellung der
Stände in befriedigender Weise zu gestalten.
Im übrigen ist als das schwerste Gebrechen der Verfassung wohl die Aufrechterhaltung der
gutsherrlichen Gerichtsbarkeit anzusehen.
Auch die Beseitigung der Kreisdepntationen (Landräte), von welchen ein Titel des Entwurfs
von 1815 gehandelt hatte, kann als ein Mißgriff bezeichnet werden.
In formeller Beziehung weist die Verfassungsurkunde ziemlich bedeutende Mängel auf. Oft
tritt in störender Weise zu tage, daß ihre Bearbeitung manche verschiedene Stadien durchgemacht
hat und daß zahlreiche Köpfe von zum Teile sehr ungleicher Begabung dabei mitgewirkt haben.
Die äußere Anordnung der Verfassung ist folgende. Die Verfassung wird durch eine Ein-
leitung eröffnet, welche die leitenden Gedanken darlegt. Hieran schließt sich der eigentliche Text
in zehn Titel geteilt, welche in Paragraphen gegliedert sind. Die Titel handeln, nach vorausge-
schickten „allgemeinen Bestimmungen“ in Titel I, vom Könige und der Thronfolge, dann der
Reichsverwesung; von dem Staatsgute; von allgemeinen Rechten und Pflichten; von besonderen
Rechten und Vorzügen; von der Ständeversammlung; von der Rechtspflege; von der Militärver-
fassung; von der Gewähr der Verfassung.
Zur näheren Ausführung einzelner Bestimmungen der Verfassung sind derselben zehn Edikte
ohne Eingang und Schluß lediglich als Beilagen angefügt. Die Edikte sind gleichfalls in Para-
graphen geteilt. Sie handeln über das Indigenat; über die äußeren Rechtsverhältnisse der Ein-
wohner des Königreichs Bayern in Beziehung auf Religion und kirchliche Gesellschaften; über die
Freiheit der Presse und des Buchhandels; über dic staatsrechtlichen Verhältnisse der vormals reichs-
ständischen Fürsten, Grafen und Herren; über den Adel im Königreiche Bayern; über die guts-
herrlichen Rechte und die gutsherrliche Gerichtsbarkeit; über die Familienfideikommisse; über die
Siegelmäßigkeit; über die Verhältnisse der Staatsdiener, vorzüglich in Beziehung auf ihren Stand
und Gehalt; über die Ständeversammlung. Dem Religionsedikte sind zwei „Anhänge“ beigegeben:
das die inneren katholischen Kirchenangelegenheiten im Königreiche ordnende Konkordat mit Sr.
päpstlichen Heiligkeit Pius VII., abgeschlossen zu Rom den 5. Juni 1817, bestätigt zu München
den 24. Oktober gl. J., und das Edikt über die inneren kirchlichen Angelegenheiten der protestan-
tischen Gesamtgemeinde in dem Königreiche.
Einige Schwierigkeiten waren bezüglich der Einführung der neuen Verfassung in der Pfalz
zu überwinden. Man war bei den Beratungen von 1818 sofort darüber einig, daß die Verfassung
in der Pfalz nicht ohne Aenderungen eingeführt werden könne. Ueber diese Aenderungen wurde
durch eine königliche Entschließung vom 5. Oktober 1818 (Weber I S. 733) Bestimmung getroffen.
Hiermit war das Verfassungswerk beendet. Die Verfassungsurkunde von 1818 ist die Grund-
lage, auf welcher das bestehende Staatsrecht Bayerns ohne wesentliche Störungen sich weiter ent-
wickelt hat.
§ 8. Die Behörden der Rechtspflege und der Verwaltung. Die Entwickelung der Behörden-
einrichtung in Bayern vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Erlasse der Verfassungsurkunde
weist zwei Zeitabschnitte auf, deren Markstein die Verfassung von 1808 ist. Nach diesen Abschnitten
gliedert sich die folgende Darstellung.
I. 1799—1808.
1. Das Ministerium. Das Land befand sich beim Regierungsantritte Maximilians IV. Josef
in einem wahrhaft kläglichen Zustande. Der neue Kurfürst und der leitende Staatsmann, welchem
in dieser entscheidenden Zeit die Geschicke Bayerns anvertraut waren, Freiherr von Montgelas (geb.
1759, gest. 1838), überzeugten sich sofort, daß die bestehenden Behörden, überdies großen Teils
mit untauglichen Beamten besetzt, nicht die Werkzeuge sein konnten, um die unaufschieblichen Ver-
besserungen durchzuführen.