26 Zweiter Abschnitt: Staat und Staatsverfassung. J. Der Herrscher. W* 13.
Willen anfällt, so erwirbt er sie doch nicht gegen seinen Willen. Er muß daher, sobald
er hiezu in der Lage ist, sich über die Annahme der Krone erklären. Fällt Kronerwerb
und Regierungsantritt zusammen, so erfolgt diese Erklärung durch das Regierungsantritts-
oder Besitzuahme-Patent.
Bei dem Regierungsantritte soll der neue Herrscher den Königseid leisten (Verf.=
Urk. Tit. X § 1). Die Eidesleistung geschieht in einer feierlichen Versammlung der Staats-
minister und übrigen Mitglieder des Staatsrates, dann einer Abordnung des Landtags,
wenn dieser zur Zeit versammelt ist. Der Eid lautet: „Ich schwöre nach der Verfassung
und den Gesetzen des Reichs zu regieren, so wahr mir Gott helfe und sein heiliges Evan-
gelium“. Ueber den Akt wird eine Urkunde verfaßt und im Reichsarchiv hinterlegt, dem
Landtage aber beglaubigte Abschrift hievon mitgeteilt. Die Eidesleistung ist keine Be-
dingung des Kronerwerbes oder des Regierungsantritts.
Die derselben entsprechende allgemeine Landeshuldigung, von welcher die Verfassungs-
urkunde in Tit. X § 3 redet, ist außer Uebung gekommen.
Der Verzicht auf den Erwerb der Krone kann ausdrücklich oder still-
schweigend — durch Nichtübernahme der Regierungsgeschäfte — erklärt werden.
Da die Berufung zur Krone nicht Gegenstand vertragsmäßiger Verfügungen ist, eine
einseitige Erklärung aber, welche vor Anfall der Krone abgegeben wurde, den Erklärenden
für die Zukunft nicht bindet, so folgt, daß der Verzicht auf die Krone rechtliche Bedeutung
nur als Ablehnung im Augenblicke des Anfalles hat. Denn erst dann tritt durch die
Weitervergebung der Krone eine Zerstörung des Thronfolgerechts des Ablehnenden ein.
Der Verzicht kann an keinerlei Bedingung geknüpft und mit keinem Vorbehalte versehen
werden. Wer die Krone nicht so annimmt, wie sie ihm verfassungsmäßig zufällt, kann
weder jetzt noch überhaupt jemals König werden.
Der Verzicht wirkt nur für die Person dessen, der ihn leistet, nicht für seine vor-
handenen oder künftigen Nachkommen. Denn das Thronfolgerecht derselben ist kein Be-
standteil des ererbten väterlichen Vermögens, sondern kommt ihnen selbst ursprünglich kraft
der Verfassung zu. Der Verzicht kann nicht die Thronfolgefähigkeit der Nachkommen des
Verzichtenden, sondern nur die Reihenfolge der Berufung zur Krone beeinflussen. Kommt
nämlich durch den Verzicht die Krone in eine andere Linie, so muß sie in dieser nach dem
Grundsatze der Linealfolge weiter gehen. Ist aber diese Linie erloschen, dann muß die
Frage, wer nunmehr zur Krone berufen ist, von der Person des Verzichtenden abgesehen,
ohne Rücksicht auf den Verzicht beantwortet werden.
Soll aus irgend welchem Grunde ein Prinz oder dessen Linie von der Thronfolge
rechtswirksam ausgeschlossen oder ihnen ein anderer Platz in der Reihenfolge der Be-
rufenen angewiesen werden, so kann dies nur durch Verfassungsänderungsgesetz geschehen.
Dabei ist aber dann das rechtlich Entscheidende nicht der etwa vorliegende „Verzicht"“,
sondern das Gesetz.
Der Verlust der Herrschaft ist staatsrechtlich nur mit dem Willen des Herrschers,
tatsächlich allerdings auch gegen dessen Willen möglich. Daß der letztere Vorgang nicht
Gegenstand einer rechtswissenschaftlichen Erklärung oder Darstellung sein kann, bedarf keines
Beweises.
Als rechtmäßiger Verlustgrund der Herrschaft erübrigt sonach nur der freiwillige
Verzicht, die Abdankung. Deren Zulässigkeit ist in der bayerischen Verfassungsurkunde
nicht ausdrücklich erwähnt, aber vernünftiger Weise nicht zu bestreiten, da es kein Mittel
gibt, jemanden zu zwingen, König zu bleiben, der es nicht mehr sein will. Uebrigens
hat seit dem Bestehen der Verfassungsurkunde eine Abdankung bereits stattgefunden 7).
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1) Abdankungsurkunde des Königs Ludwig l. vom 20. März 1848, RN. Bl. S. 145.