Full text: Staatsrecht des Königreichs Bayern.

34 Zweiter Abschnitt: Staat und Staatsverfassung. I. Der Herrscher. 8 15. 
Regierungshandlungen des Königs. Der Herrscher steht, zur Selbstregierung gelangt, den- 
selben so gegenüber, wie wenn er selbst sie vorgenommen hätte. 
Die Regentschaft ist die Ausübung der Staatsgewalt für den Herrscher kraft Be- 
rufung durch das Gesetz. Der Regent ist Ersatzmann des Königs, aber nicht dessen 
Beauftragter. Seine Stellung ist hienach zwar vom Bestande der Herrschaft des Königs, 
nicht aber vom Willen des Königs abhängig. 
Da die Berufung zur Regentschaft ebenso wie die Bernfung zur Krone stets auf 
Gesetz beruht, so folgt, daß die Regentschaft ebenso wie die Krone zwar nie gegen den 
Willen, wohl aber ohne den Willen des Berufenen anfällt. Die Ablehnung hat hier wie 
dort die Wirkung, daß der Aufall als nicht geschehen gilt. 
Die Reichsverwesung ist eine ordentliche oder eine außerordentliche. 
Die ordentliche Reichsverwesung tritt mit rechtlicher Notwendigkeit von selbst ein, 
wenn der König minderjährig ist, d. h. das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (Verf.= 
Urk. Tit. 11 §8 7, 9), sowie, was in der Verfassungsurkunde allerdings nicht berücksichtigt 
ist, wenn der verstorbene König eine schwangere Witwe hinterlassen hat ?. 
Die Ursachen der außerordentlichen Reichsverwesung werden von der Verfassungs- 
urkunde nur in allgemeinen Wendungen bezeichnet. Nach Titel II §9, b soll Regentschaft 
eintreten, wenn der König „an der Ausübung der Regierung auf längere Zeit verhindert 
ist“, und ebenso spricht § 11 von „irgend einer Ursache“, die den König „an der Ausüb- 
ung der Regierung" hindere. Ein Unterschied zwischen Verhinderungsursachen, welche 
beim Anfalle der Krone bereits vorliegen, und solchen, welche erst später eintreten, wird 
dabei nicht gemacht. 
Als Ursachen der außerordentlichen Reichsverwesung erscheinen im allgemeinen jene, 
welche oben als Fälle der Behinderung und der Regierungsunfähigkeit bezeichnet worden 
sind. Bezüglich der ersteren bedarf es keiner weiteren Bemerkung, dagegen ist der Begriff 
der Regierungsunfähigkeit näher zu bestimmen. 
Von vorneherein isi hier hervorzuheben, daß Regierungsfähigkeit und privatrechtliche 
Handlungsfähigkeit nicht dasselbe sind. Wohl ist es richtig, daß, wo die letztere mangelt, 
auch die erstere nicht gegeben ist. Aber ein privatrechtlich handlungsfähiger Herrscher kann 
nicht regierungsfähig sein. Es ist eine andere Frage, ob jemand im Stande ist, in dem 
immerhin beschränkten Kreise seiner privatrechtlichen Beziehungen mit selbständiger Ent- 
schließung sich zu bewegen, eine andere, ob er einen Staat zu regieren vermag. Diese 
letztere Frage beantwortet sich nicht nach Rechtsregeln — denn solche stellt die Verfassungs- 
urkunde nicht auf — sondern nach den Verhältnissen des einzelnen Falles. 
Auf der anderen Seite aber ist nicht außer Acht zu lassen, daß der Begriff der Re- 
gierungsunfähigkeit, trotzdem er weiter ist als der Begriff der Handlungsunfähigkeit, strenge 
gefaßt werden muß. Nicht die mangelhafte Fähigkeit, sondern nur die völlige Unfähigkeit 
zu regieren, kann den Eintritt einer Reichsverwesung rechtfertigen. 
Die Regierungsunfähigkeit besteht in der Unfähigkeit, die Willensakte selbständig vor- 
zunehmen, die zur Regierung erforderlich sind. Die Regierung ist eine geistige, keine kör- 
perliche Tätigkeit. Geisteskrankheit macht daher unbedingt regierungsunfähig. Körperliche 
Gebrechen dagegen können memals unmittelbar, sondern nur mittelbar Regierungsunfähig- 
keit begründen. Das Letztere ist daun der Fall, wenn körperliche Gebrechen von der Art 
sind, daß dem Könige die physischen Voraussetzungen fehlen, einen selbständigen Herrscher- 
willen zu fassen oder zu äußern. 
1) Im leuteren Falle handelt es sich allerdings nicht um eine Regentschaft, sondern um eine 
zwischenherrschaft. Allein tatsächlich wird der Unterschied nicht zu tage treten. Denn da die Verf.- 
Urk. diesen Fall nieht berücksichtigt hat, wird nichts erübrigen, als ihn entsprechend dem Falle der 
Regentschaft zu behandeln. Vgl. im allgemeinen H. Triepel, das Interregnum, Leipzig 19892.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.