44 Zuweiter Abschnitt: Staat und Staateverfassung. II. Die Gegenstände der Herrschaft. § 19.
§ 19. Rechtsunterschiede und Auszcichnungen der Staatsangehörigen. Die Ver-
fassungsurkunde hat den Programmsatz ihres Einganges, den Grundsatz der staatsbürger-
lichen Rechtsgleichheit, nicht voll verwirklicht. Sie kennt rechtlich benachteiligte und recht-
lich bevorzugte Bevölkerungsklassen. Erstere Kategorie besteht nicht mehr. Die Leibeigen-
schaft, schon 1808 aufgehoben, ist durch die Verfassungsurkunde (Tit. IV § 6) ausdrücklich
verboten. Die Rechtsminderungen der „dnicht christlichen Glaubensgenossen“ (Verf.-Urk.
Tit. IV 8 9, Beil. II § 25), besonders der Inden (Edikt vom 10. Juni 1813), sind all-
mählich durch die Landesgesetzgebung beseitigt worden und nun auch reichsgesetzlich (Ges.
vom 3. Juli 1869) unstatthaft. Die wenigen berufsständischen Vorrechte, welche die Ver-
fassung (Tit V § 5) kannte, bestehen nicht mehr. Die übrigen Vorrechte, welche die Ver-
fassung einräumt, sind mit dem Besitze gewisser staatlicher Auszeichnungen verbunden. An
staatlichen Auszeichnungen kennt das bayerische Recht Orden!) und Ehrenzeichen 2), per-
sönliche Titel und Prädikate und den Adel). Nur an letzteren sind nach der Verfassung
Rechtsvorzüge geknüpft, ohne daß deswegen der Adel als „Stand" angesehen werden könnte.
Der Adel ist eine staatliche Einrichtung, welche nicht aus den Grundsätzen des heutigen
Staatsrechtes, sondern nur geschichtlich erklärt werden kann; die in der Verfassung be-
gründeten Rechtsvorzüge kommen bloß dem bayerischen Adel zu, welchen nur ein bayeri-
scher Staatsangehöriger besitzen kann. Die Verleihung des Adels geschieht durch den
König (Verf.-Beil. W — Adelsedikt svom Bürgerlichen Gesetzbuch unberührt geblieben!) —
§ 1). Der Adel ist regelmäßig erblich (Verf.-Beil. V 8§ 1, 2) durch Ehelichkeitserklärung
oder Annahme an Kindesstatt wird irgend eine Vererbung des Adels nicht bewirkt. Der
persönliche Adel ist nur mit der Verleihung des Militär-Max-Josefs-Ordens und des
Verdienstordens der bayerischen Krone verbunden. „Ein Ordensmitglied, dessen Vater
und Großvater sich ebenfalls diese Auszeichnung des Verdienstes erworben hatten, hat An-
spruch auf taxfreie Verleihung des erblichen Adels“. (Verf.-Beil. V § 5). Der Adel hat
fünf Grade: Fürsten, Grafen, Freiherren, Ritter, Adelige mit dem Prädikate „von“ (§ 6)7).
Die Führung des Adels 5) ist von dessen Eintragung in die Adelsmatrikel beim Staats-
1) Die bayer. Orden, mit denen teilweise Unterstützungsfonds verbunden sind (vgl. V. O.
vom 14. Mai 1898, G. V. Bl. S. 259, Kr. M. Bl. 1895 S. 189, 283), sind: n) Hausritterorden vom
hl. Hubert, gestiftet 1444, erneuert 1708. V.O. vom 19. Mai 1808 (Weber I S. 167;
b) Hausritterorden vom hl. Georg, gestiftet z. Z. der Krenzzüge, Statutren vom 25. Februar 1827
(Weber II S. 367, s. auch XXVIII S. 663); c) Militär-Max-Josephs-Orden, Statuten vom
1. März 1806 (Weber I S. 113); d) Verdienstorden der bayer. Krone, Ordensgesetze vom 19.
Mai 1808, V. O. vom 24. Juni 1855 (Weber I S. 166, IV S. 712); e) VBerdienstorden
vom hl. Michael, gestiftet 1693, Satzungen vom 16. Dezember 1887 (G. M. Bl. S. 705); f) Maxi-
miliansorden für Kunst und Wissenschaft, k. Entschl. vom 28. November 1853 und Min Bek. vom
18. Dezember 1886 (Weber IV S. 661, XVIII S. 244); g) Militär-Verdienst-Orden, k. Entschl.
vom 19. Juli 1866 (Weber VI S. 640) und V.O. vom 26. Febr 1900 (Weber XXIX S. 279);
higeorden, DW. O. vom 25. Augnst 1827 und 2. Oktober 1848 (Weber II S. 389, III
2) Hervorzuheben sind: die Ludwigsmedaille für Wissenschaft, Kunst u. Industric, k. Entschl.
vom 25. August 1872 (Weber IX S. 522), das Feuerwehrehrenzeichen, V. O. vom 24. Juni 1884
(Weber XVI S. 553) hiezu Min. Bek, vom 16. September 1899 (Weber XXVIII S. 47), die
Nettungsmedaille, V. O. vom 27. Februar 1889 ((8.V. Bl. S. 191), Luitpoldmedaille, V. O. vom
12. März 1897 (G. . Bl. S. 45); vgl. auch Min. Bek. vom 11. Februar 1898 (G.V. Bl. S. 147,
Kaiser-Wilhelm-Medaille), Dienstalters-Auszeichnung (Medaille und Geldbetrag) für Arbeiter der
Heeresverwaltung, V. O. vom 27. Oktober 1898 (Weber XXV0 S. 357), Ehrenzeichen für frei-
willige Krankenpflege, V.O. vom 5. März und 30. Jii 1901 (G. V.Bl. S. 129, 657), Feuer-
wehr-Verdienstkrenz, V. O. vom 25. Febr. 1901 (G. V. Bl. S. 127).
3) L. Hoffmann, das Recht des Adels und der Fideikommisse in Bayern, München 1896.
4) Die Verleihung des Titels eines „Herzogs zu Wörth und Donanstanf“ (an den Fürsten
Thurn und Taris (G. M. Bl. 1899 S. 364) ist in der Verfassung nicht begründet, auch nicht als
acressorischen Titele; das bayerische Adelsrecht kennt keine nach der Primogenitur vererbliche Titel.
lleber die Verleihungsgebühren, Geb.Ges., Fassung vom 11. Nov. 1899 Art. 240.
5) Das Recht zur Führung eines adeligen Namens bestimmt sich nach Beil. V zur Ver-
Ffassungeurkunde, welche durch das B. G. B. (z. B. §8 1355, 1577) nicht berührt worden ist. Agl.