Full text: Staatsrecht des Königreichs Bayern.

54 Zweiter Abschnitt: Staat und Staatsverfassung. III. Der Landtag. § 22. 
Auf dem Gebiete der Reichsgesetzgebung ist das Petitionsrecht des Landtages überall 
da anzuerkennen, wo die Petition sich auf die Mitwirkung Bayerns zu einem Akte der 
Reichsgesetzgebung bezieht, der die Landesgesetzgebung und damit den Wirkungskreis des 
Landtags berührt. 
Hinsichtlich des Petitionsrechts des Landtags auf dem Gebiete der Regierungs= oder 
Verwaltungstätigkeit ist die Grenze wissenschaftlich allerdings leicht zu ziehen. Im einzelnen 
Falle dagegen mag sie zweifelhaft sein, und dieser Umstand erklärt es, daß die Uebung hier 
eine etwas unsichere ist. An sich ist die Regierungs= und Verwaltungstätigkeit dem Ein- 
flusse des Landtages entrückt. Der einzelne Fall, in welchem die Regierung innerhalb der 
Grenzen ihres gesetzlichen Ermessens gehandelt hat, kann nicht Gegenstand einer Petition 
des Landtags sein. Dagegen kann das Petitionsrecht gegenüber der Regierungstätigkeit 
dann geltend gemacht werden, wenn dieselbe den Wirkungskreis des Landtags irgendwie 
auch nur mitberührt ). 
Der äußere Anlaß zur Geltendmachung des Petitionsrechtes seitens der Kammern 
kann entweder in dem Antrage eines Kammermitgliedes oder in einer von außen kom- 
menden Eingabe liegen. Die Kammermitglieder haben ein verfassungsmäßiges Recht, 
Wünsche und Anträge vorzubringen:). Dagegen ist ein verfassungsmäßiges Recht der 
Staatsangehörigen, Petitionen an die Kammern zu richten, nicht gegeben. Ein solches 
Recht wäre nur dann anzuerkennen, wenn ein gesetzlicher Zwang für die Kammern be- 
stünde, sich mit den eingekommenen Petitionen zu befassen. Es besteht nur weder ein 
Verbot für die Staatsangehörigen und ebensowenig für nicht Staatsangehörige, an die 
Kammern zu schreiben, noch für die Kammern, solche Zuschriften anzunehmen). 
In allen Fällen können Petitionen nur infolge eines übereinstimmenden Beschlusses 
der beiden Kammern vor den König gebracht werden!?). 
3. Das Beschwerderecht. Die Verfassung sagt (Tit. VII § 21 mit Geschäfts- 
gangsgesetz Abschnitt II Ziff. 2): 
„Jeder einzelne Staatsangehörige, sowie jede Gemeinde kann Beschwerden über Ver- 
letzung der konstitutionellen Rechte an den Landtag, und zwar an jede der beiden Kam- 
mern, bringen, welche sie durch den hierüber bestehenden Ausschuß prüfen läßt und nach 
Maßgabe der Geschäftsordnung in Beratung nimmt. 
Erkennt die Kammer durch Stimmenmehrheit die Beschwerde für gegründet, so teilt 
— — 
I)) Uoeber die Grenzen des Petitionsrechtes in dieser Beziehung vgl. nunmehr auch den vor- 
züglichen Vortrag des Neichsrats Dr. v. Neumayr vom 17. Jannar 1886 (Verh. d. K. d. R. R. 
1883/86 Beil. Bd. III), der sich vollständig den Ansichten anschließt, die v. Seydel in seinem 
bayer. Staatsrecht 1. Anfl. II S. 18 ff. vertreten hatte. Vgl. auch Staatsminister Frhr. v. Crails-= 
heim, St. B. der K. d. Abg. 1899/1900 St.B. Bd. IV S. 547, 518.. Die Ausübung des Be- 
gnadigungerechtes kein Gegenstand einer Beschlußfassung des Landtages Verh. d. Abg.K. 1897/98 
St. B. Bd. IX S. 831. Erörterung Elsaß-Lothringischer Angelegenheiten a. a. O. 1899 St. B. 
Bd. 1 S. 972 ff. (Frhr. v. Crailsheim) — s. auch Allg. Zeitung 1902 N. 77. 78 Abendblatt 
und Beilage N. 247. Gegen die Darlegungen des Abg. Geiger, Verh. d. K. d. Abg. 1902 
St. B. Bd. VII S. 637 ff.) über den Umfang des Petitionsrechtes und dessen Kritik an den ein- 
schlägigen Verhandlungen der K. d. R. R. — Prot. Bd. II S. 81 ff. auch S. ö4 (v. Auer). 
9 Verf.Urk. Tit. VII § 20 Abs. I, bezw. Geschäftsgangs-Ges. vom 19. Januar 1872 
A#schn 11. Zif 1. Das Gesetz sagt: „in dieser Beziehung“, also innerhalb der Grenzen von 
Tit. § 19. 
3) Verf.Urk. Tit. VII 8§ 19 u. 20 Abs. II. § 34 Abs. V der Geschäftsordnung der K. d. 
R.N. — Ueber die Behandliung der Petitionen vgl. die sehr richtigen Bemerkungen von R. Gneist, 
Gesetz und Budget 1879, S. 214, der sich dagegen erklärt, daß Petitionskommissionen „im Sinne 
eines wirklichen Verwaltungsgerichtshofes“ arbeiten. Auch dic Geschichte des baycrischen Landtags 
bietet zahlreiche Belege für eine solche mißverständliche Anffassung der parlamentarischen Aufgaben. 
· 4) Die durch llebung eingeführte Ueberweisung von Petitionen durch eine Kammer allein an 
die Staatsregierung, d. h. an das sachlich zuständige Ministerium, enthält keine Geltendmachung 
des verfassungemäßigen Petitionsrechts. In solchen Fällen besteht daher auch kein Anspruch auf 
Erteilung eines Bescheides.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.