Full text: Staatsrecht des Königreichs Bayern.

8 23. Die Kammer der Reichsräte. 57 
Die Verfassungsurkunde (Tit. VII § 26, vgl. Einf.-Ges. vom 1. Februar 1879 zur 
R.-St.-P. O. 8 6 Abs. II) bestimmt, daß kein Landtagsmitglied während der Dauer einer 
Landtagsversammlung ohne Einwilligung seiner Kammer zu Verhaft gebracht werden kann, 
den Fall der Ergreifung auf frischer Tat bei begangenem Verbrechen ausgenommen. Ab- 
gesehen von der regelmäßigen Unzulässigkeit der Verhaftung ist die Führung einer strafge- 
richtlichen Untersuchung und Verhandlung gegen ein Landtagsmitglied während der Tagung 
durch die Verfassung nicht untersagt. Auch die Verhaftung zum Strafvollzuge während 
der Tagung ist an die Zustimmung der betreffenden Kammern nicht gebunden, da § 6 
Abs. 11 Ziff. 1 des R. Einf.-Ges. zur Strafprozeßordnung nur jene landesrechtlichen Be- 
stimmungen unberührt gelassen hat, welche die Voraussetzungen der Einleitung und Fort- 
führung einer Strafverfolgung von Landtagsmitgliedern betreffen!?). 
Die Verhaftung eines Landtagsmitgliedes behufs Erzwingung eines Offenbarungs= 
eides kann bei versammeltem Landtage nur mit Billigung der betreffenden Kammer ge- 
schehen ?). Gleicher Zustimmung bedarf es zur Vernehmung eines Kammermitgliedes als 
Zeugen oder Sachverständigen außerhalb des Landtagssitzes 3). 
In allen Fällen entscheidet darüber, ob die Bewilligung zu erteilen sei oder nicht, 
das freie Ermessen der Kammer. 
§ 23. Die Kammer der Reichsräte"'). Der Kammer der Reichsräte gehören als 
Mitglieder an: 
1. die volljährigen Prinzen des königlichen Hauses, 
2. die Kronbeamten des Reiches, 
3. die Erzbischöfe von München-Freising und von Bamberg, 
4. die Häupter der ehemals reichsständischen, fürstlichen und gräflichen Familien, 
solange sie im Besitze ihrer vormals reichsständischen, in Bayern gelegenen Herrschaften 
bleiben, 
5. ein vom Könige auf Lebenszeit ernannter Bischof und der jedesmalige Präsident 
des protestantischen Oberkonsistoriums, 
6. die vom Könige ernannten erblichen Reichsräte, 
7. die vom Könige ernannten lebenslänglichen Reichsräte (Verf.-Urk. Tit. VI § 2). 
Allgemeine Voraussetzungen für die Möglichkeit, Mitglied der ersten Kammer zu sein, 
sind der Besitz der bayerischen Staatsangehörigkeit und der bürgerlichen Ehrenrechte. 
Voraussetzung des Zutrittes in die Kammer ist die erreichte Volljährigkeit. Zur 
Teilnahme an den Abstimmungen aber sind die Prinzen des königlichen Hauses erst mit 
vollendetem 21., die übrigen Reichsräte erst mit zurückgelegtem 25. Lebensjahre zugelassen 
(Verf.-Urk. Tit. VI 8 5). 
Die Fähigkeit, erblicher Reichsrat zu werden, ist an folgende verfassungsrechtliche 
Voraussetzungen (Verf.-Urk. Tit. IV § 3, Gesetz vom 9. März 1828 Art. II, Ges. vom 
11. September 1825 § 2) geknüpft: 
1. Besit der bayerischen Staatsangehörigkeit seit mindestens sechs Jahren?); 
— — — — — — 
1) Val. E. Sonntag, der besondere Schutz der Mitglieder des deutschen Reichstages 2c. 
Breslau 1605. S. 6o . 75. Verh. d. K. d. Abg. 1897/98 St.B. Bd. IX S. 18 ff. 
2) N.C. P.O 8 Ziff. 1. Ebenso wird auf Verlangen der Kammer die Haft unter- 
brochen l. c. 8 905 . 
3) R. C. P. O. 88 2— 402; R. St. P. O. ös 49, 72: Ges. vom 8. August 1878, betr. die 
Errichhueng ein Verwaltungsgerichtshofes und das Verfahren in Verwallungsrechtesachen, 
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4) Zu den Bestimmungen der Verf.Urk. sind noch zwei erläuternde Gesetze vom 11. Sep- 
tember 1825 (G.Bl. S. 31) und vom 9. März 1828 (G.Bl. S. 9) hinzugekommen. 
5) Die Verfassung fordert Besitz des „vollen Staatsbürgerrechts-. Agl. hiezu Verf. Urk. 
Tit. IV § 3 und Beil. 1 § 8. Von den Erfordernissen des Staatesbürgerrechte ist das der An- 
sässigkeit schon in Ziff. 3 des Textes enthalten. Die gesetzliche Volljährigkeit ist nach Verf.Urk.
	        
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