Full text: Staatsrecht des Königreichs Bayern.

827. Organisation, Disziplin und Geschäftsgang der Kammern. 65 
Der Zeitraum der Tätigkeit des Landtags zwischen Eröffnung und Schluß oder 
Auflösung bildet eine Landtagsversammlung (Sitzungsperiode, Tagung). Man pflegt die- 
jenigen Landtage, welche kraft verfassungsrechtlicher Notwendigkeit alle drei Jahre zu be- 
rufen waren und jetzt (als Budgetlandtage) alle zwei Jahre berufen werden, ordentliche, 
die übrigen außerordentliche Landtage zu nennen. Ein staatsrechtlicher Unterschied zwi- 
schen ordentlichen und außerordentlichen Versammlungen besteht indessen nicht. 
Während einer Landtagsversammlung kann Vertagung des Landtags durch den 
König eintreten. Die Vertagung bewirkt lediglich ein vorübergehendes Ruhen, nicht einen 
Abbruch der Geschäfte des Landlags. Dieselben werden nach Ablauf der Vertagungszeit 
da wieder aufgenommen, wo sie stehen geblieben sind. Während der Dauer einer Ver- 
sammlung können die Kammern aus eigener Macht ihre Tätigkeit nicht einstellen. Eine 
tatsächliche Aussetzung der Arbeiten können sie allerdings herbeiführen, da sie in der Be- 
stimmung des Zeitpunktes ihrer Sitzungen rechtlich unbeschränkt sind. 
Wenn eine Landtagsversammlung „vertagt, förmlich geschlossen oder aufgelöst wor- 
den ist, können die Kammern nicht mehr gültig beratschlagen und jede fernere Verhand- 
lung ist ungesetzlich" (Verf.-Urk. Tit. VII § 31). 
Abteilungen oder Ausschüsse der Kammer können weder einberufen werden noch ver- 
sammelt bleiben, wenn der Landtag nicht versammelt ist ½). 
Die Versammlungen des Landtags stehen unter besonderem strafrechtlichem Schutze ?). 
Außerdem dürfen, solange der Landtag versammelt ist, innerhalb der Entfernung von sechs 
Stunden von dem Orte seines Sitzes Volksversammlungen unter freiem Himmel nicht ab- 
gehalten werden 3). 
Den Kammerpräsidenten wird zur Handhabung des Hausrechtes im Sitzungsgebände 
eine Militärwache zur Verfügung gestellt ). 
§ 27. Organisation, Disziplin und Geschäftsgang der Kammern. Die Kammern 
des Landtags haben bei ihrem ersten Entstehen das Recht der Selbstgesetzgebung in Bezug 
auf ihre Geschäftsordnung nicht in der Ausdehnung besessen, wie es ihnen jetzt zukommt. 
Die X. Verfassungsbeilage, das Edikt über die Ständeversammlung, bestimmte vielmehr 
über diesen Gegenstand in ziemlich eingehender Weise. Den Kammern verblieb hienach in 
der Hauptsache nur die Möglichkeit, Vollzugsbestimmungen zu jenem Edikte zu beschließen. 
Das Selbstgesetzgebungsrecht der Kammern hat jedoch durch die einander folgenden 
Gesetze über den Geschäftsgang des Landtags vom 2. September 1831 (G.-Bl. S. 25), 
25. Juli 1850 (G.-Bl. S. 297) und 19. Januar 1872 (G.-Bl. S. 173) einc wachsende 
Ausdehnung erfahren. Das letztere Gesetz ist, mit einer Abänderung durch § 26 des 
Landtagsabschiedes vom 1. Juli 1886, das nunmehr geltende 5). 
Die Organisation der Kammer ist folgende. 
Jede der beiden Kammern hat zwei Präsidenten. Den ersten Präsidenten der Kam- 
mer der Reichsräte ernennt der König (Ges. vom 28. Mai 1852, G.-Bl. S. 597), der 
zweite Präsident dieser Kammer und die beiden Präsidenten der Kammer der Abgeord- 
neten werden von ihrer Kammer mit absoluter Mehrheit ?) gewählt, sobald die Anwesen- 
1) Ausnahmen von diesem Grundsatze sind zuweilen durch besondere Gesetze gemacht worden. 
2) R. St. G. B. § 105. 
3) Ges., die Versammlungen und Vereine betr., vom 26. Februar 1850/15. Juni 1898, Art. 10. 
4) Geschäftsgangs-Ges. Art. 7 Abs. II. 
5) Von vorübergehender Bedeutung war das Gesetz vom 15. Juni 1898 (G.V. Bl. S. 307) 
über die Behandlung der durch die Einführung des B. G. B. veranlaßten Gesetzentwürfe sowie der 
Steuergesetzentwürfe. Dieses Gesetz war ein Verfassungsänderungsgesetz wie das entsprechende vom 
12. Mai 1848. Ueber die neue Geschäftsordnung der Kammer der Reichsräte s. o. S. 58. lleber 
den staatsrechtlichen Charakter der außerhalb der Landtagssession zusammentretenden Kommission 
für den Neubau des Landtagsgebäudes Verh. d. K. d. R.N. 1899/1900 Beil. Bd. I S. 727. 
6) Wird keine absolute Mehrheit erzielt, so erfolgt engere Wahl zwischen den drei, dann 
Handbuch des Oeffentlichen NRechts II, 4. Bahern. 3. Auflage. (n
	        
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