Full text: Staatsrecht des Königreichs Bayern.

827. Organisation, Disziplin und Geschäftsgang der Kammern. 67 
Kammer, ihrer Abteilungen und ihrer Ausschüsse teilzunehmen. Die Mitglieder müssen, 
wenn sie von den Sitzungen fern bleiben wollen, die Erlanbnis hiezu erbitten; der Präsi- 
dent kann Urlaub bis zu 10 Tagen erteilen; längerer Urlaub kann nur von der Kammer 
bewilligt werden. 
Wie bereits früher erörtert, hat die Nichterfüllung der Anwesenheitspflicht unter be- 
stimmten Voraussetzungen für die Abgeordneten den Verlust ihres Sitzes in der Kammer 
zur Folge. Für die Mitglieder der Kammer der Reichsräte tritt unter den gleichen Vor- 
aussetzungen der Ausschluß aus der Kammer für die Dauer des Landtags ein (Geschäfts- 
gangsgesetz Art. 28). 
Im übrigen steht jeder Kammer zur Handhabung der Disziplin in ihren Vollver- 
sammlungen gegenüber ihren Mitgliedern — nicht gegenüber den Regierungsvertretern — 
ein Disziplinarstrafrecht zu. Diese Strafgewalt ist indessen auf ein Rügerecht (Ordnungs- 
ruf) und die Wortentziehung beschränkt. 
Die Disziplinarstrafgewalt wird in erster Instanz vom Präsidenten, in zweiter In- 
stanz von der Kammer ausgeübt. 
Die anwesenden Staatsminister, die königlichen Kommissäre und alle Kammermitglieder 
sind befugt, den Präsidenten auf Zuwiderhandlungen gegen die Ordnung aufmerksam zu 
machen und auf Zurückweisung zur Ordnung anzutragen (Geschäftsgangsgesetz Art. 10). 
Die Kammern üben durch ihre Präsidenten die Hauspolizei im Sitzungsgebände 
(Geschäftsgangsgesetz Art. 7, 8). 
Hinsichtlich des Geschäftsganges bestehen folgende allgemeine Vorschriften. 
Die Verfassung (Tit. VII § 24) bestimmt vor allem, daß die Staatsminister den 
Sitzungen der beiden Kammern beiwohnen können, auch wenn sie nicht Mitglieder sind. 
Dasselbe gilt von den königlichen Kommissären:). 
Hinsichtlich der Verhandlungen im vollen Hause besteht die verfassungsrechtliche 
Regel, daß sie öffentlich sind ?). 
Ausnahmen von dem Grundsatze der Oeffentlichkeit sind in folgenden Fällen zuge- 
lassen (Geschäftsgangsgesetz Art. 13): 
1. wenn das Direktorium der Kammer oder die geschäftsordnungsmäßige Zahl von 
Mitgliedern (7 in der ersten, 15 in der zweiten Kammer) es beantragt; 
2. wenn ein Staatsminister oder königlicher Kommissär erklärt, daß er der Kammer 
eine Eröffnung in vertraulicher Sitzung zu machen habe. Ueber solche Eröffnungen der 
Regierung darf ohne deren Zustimmung weder eine öffentliche Beratung noch eine Be- 
kanntmachung erfolgen. 
Im Falle veranlaßter Räumung der Galerien ist eine Beschränkung der Oeffentlich- 
keit in soweit statthaft, als die Sitzung bis zur Erschöpfung der Tagesordnung fortgesetzt 
werden kann (G.-G. Art. 8). 
Die Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen ist noch weiterhin dadurch gesichert, 
daß dieselben seitens der Kammern durch den Druck bekannt gegeben werden. Diese Ver- 
öffentlichungen sind von den preßpolizeilichen Beschränkungen befreit 3). 
Ferner sind wahrheitsgetreue Berichte über die Verhandlungen der Kammern von 
jeder strafrechtlichen Verantwortlichkeit frei0. 
Die Kammersitzungen werden vom Präsidenten eröffnet und geschlossen 5). 
Gegenstände, welche sich auf Vorlagen und Mitteilungen der Regierung beziehen, sind 
1) Geschäftsgangs-Ges. Art. 10 und 14 ff. 
2) (Geschäftegangs-(Ges. Art. 13 Absf. II. 
3) Meichsges. über die Presse vom 7. Mai 1874 (R.G. Bl. S. 65) § 12. 
4) R.St.G.B. § 12. Ugl. dagegen das Zensuredikt vom 28. Jannar 1831 (RN. Bl. S. 33) 
§ 5. Hubrich, die Immunität der parlamemarischen Berichterstattung, Annalen 1897 S. 1 ff. 
5) Geschäftsgangs-Ges. Art. 13 Abs. I. 
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