§5 27. Organisation, Disziplin und Geschäftsgang der Kammern. 69
nahme an der Abstimmung untersagt. Der Abstimmung in der betreffenden Sache hat
sich nämlich zu enthalten:
1. jedes Kammermitglied, wenn auf dessen Antrag oder infolge einer durch die Ge-
schäftsordnung gestatteten Reklamation über die dauernde oder vorübergehende Verpflich-
tung oder Berechtigung desselben zum Sitze in der Kammer erkannt wird,
2. jedes Kammermitglied, gegen welches eine nach der Geschäftsordnung zulässige
Anklage oder Beschwerde erhoben ist, oder welches eine solche gegen ein anderes Kammer=
mitglied erhoben hat,
3. jedes Kammermitglied, welches in irgend einer geschäftsordnungsmäßigen Form
die Entscheidung der Kammer bezüglich einer persönlichen Angelegenheit in Anspruch nimmt.
Bei Berechnung der Beschlußfähigkeitsziffer kommen in der Kammer der Reichsräte
jene Mitglieder nicht in Anrechnung, welche noch nicht eingetreten sind, und ebensowenig
jene, welche für die Dauer des Landtages ausgeschlossen wurden; in der Kammer der
Abgeordneten sind die erledigten Sitze nicht zu zählen. Dagegen sind die beurlaubten Mit-
glieder einzurechnen; in beiden Kammern sind für den einzelnen Fall jene Mitglieder nicht
zu zählen, denen gesetzlich die Teilnahme an der Abstimmung verwehrt ist 1.
Die Beschlußfassung erfolgt mit absoluter Stimmenmehrheit der stimmberechtigten
Anwesenden, vorbehaltlich jener Fälle, in welchen eine größere Mehrheit gesetzlich erfordert
wird. Bei Stimmengleichheit ist die Frage verneint 2).
Die Abstimmung geschieht bei allen Gegenständen, welche öffentlich beraten werden,
öffentlich, und zwar in der Regel durch Aufstehen und Sitzenbleiben. Die Kammer kann
jedoch die Abstimmung durch Namensaufruf beschließen. Ueber das Ganze von Gesetzen
muß jedenfalls öffentlich mittels Namenaufrufes abgestimmt werden 3).
Sobald ein Gesamtbeschluß beider Kammern zustande gekommen ist, wird derselbe
dem Staatsministerium übersendet und von diesem dem Könige unterbreitet. Dasselbe gilt
von den Vorlagen jeder einzelnen Kammer!?).
Ein Gegenstand, über welchen beide Kammern sich nicht zu vereinigen vermochten,
kann in derselben Tagung nicht wieder zur Beratung gebracht werden 5).
Die Ausschüsse müssen bei allen Beratungsgegenständen, welche kraft gesetzlicher Vor-
schrift oder auf Antrag der Staatsregierung einem Ausschusse zu überweisen sind, vor der
Berichterstattung die betreffenden Staatsminister oder königlichen Kommissäre hören.
Die Ausschüsse regeln ihre Tagesordnung selbst. Die Regierungsvorlagen sind je-
doch, soweit nicht, namentlich wegen besonderer Dringlichkeit sonstiger Gegenstände, mit
Zustimmung der Regierungsvertreter ein anderes von der Kammer beschlossen wird, vor
allen übrigen Beratungsgegenständen sowohl hinsichtlich der Bearbeitung als der Beratung
zu berücksichtigen ).
Die Ausschüsse empfangen ihren Beratungsstoff von der Kammer. Sie haben ebenso
wie letztere das Recht, Erläuterungen und Aufschlüsse von der Staatsregierung zu ver-
langen und Gutachten Sachverständiger zu erholen?).
Die Vorträge der Ausschüsse sind den Staatsministern und den königlichen Kommis-
sären gleichzeitig mit der Verteilung an die Kammermitglieder zuzustellen 3).
Neben den vorstehend dargelegten allgemeinen Anordnungen über das Verfahren be-
1) Verh. d. K. d. R. R. 1895/96 Beil. Bd. IV S. 339 ff., 344.
2) Geschäftsgangs-Ges. Art. 32. 3) Geschäftsgangs-Ges. Art. 31.
4) Geschäftsgangs-Ges. Art. 39. 4 Z
5) Verf. Urk. Tit. VII § 28. Dies gilt auch für Regierungsvorlagen. Vgl. über die Frage,
was „derselbe Gegenstand“ ist, Verh. d. K. d. Abg. 1878/79 St. B. S. 265 ff. 1883/86 St. B. VI
S. 243, 1895/96 Bd. V S. 159 ff. VI S. 727 VIII S. 109 ff., K. d. R.N. 1895/96 Prot. Bd. III
S. 702 ff., v. Seydel, in den Bl. f. adm. Pr. 46 S. 348 ff.
6) Geschäftsgangs-Ges. Art. 22. 7) Geschäftsgangs-Ges. Art. 33.
8) Geschäftsgangs-Ges. Art. 34.