624 Schwurgericht.
liefert in seiner Anwendung auf das Beweisthema des Prozesses ein zweiseitiges
Beweismittel, indem der Spruch der Geschworenen ebenso gut zu Gunsten des
Klägers als des Beklagten ausfallen kann. Die Geschworenen werden vom Richter
aus den angesehensten Umsassen ausgewählt und geben, nachdem sie entweder durch
einen ad hoc geleisteten Schwur oder bei ihrem Treueide die Wahrheit auszusagen
gelobt haben, auf die Frage des Richters hin ihren Ausspruch ab, welchen die
Partei nicht wie den Zeugeneid durch Berufung auf das Ordal des Zweikampfes
in Frage zu stellen vermag. Der Vorladung zur Inquisitio Folge zu geben, war
allgemeine Pflicht. Ebenso durften das Wahrheitsversprechen und die Aussage nicht
verweigert werden. Für die zur Inquisitio eingeschworenen Umsassen findet sich ver-
einzelt die Bezeichnung Juratores; so nennt sie nämlich um 906 Regino von Prüm
(Th. I. S. 140) in seiner Darstellung des Verfahrens der geistlichen Sendgerichte,
welche die Fränkische Inquisitio als Rügeverfahren rezipirt hatten. Die Zahl der
Geschworenen war in Fränkischer Zeit noch keine geschlossene, häufig wurden mehr
als zwölf verwendet. Desgleichen hatte sich in Bezug auf die zur Gültigkeit eines
Ausspruches erforderliche Stimmenzahl noch keine feste Praxis ausgebildet. Wenn
zahlreiche oder besonders angesehene Gemeindegenossen widersprachen, mochte die
Inquisitio wol in der Regel als resultatlos betrachtet worden sein. Ein Schwanken
der Praxis macht sich auch insofern geltend, als manchmal jeder Einzelne seine Aus-
sage gesondert abgab, häufiger aber der Spruch mit gesammtem Munde erfolgte, so
daß die Geschworenen dem Gerichte gegenüber als geschlossene Gesammtheit auf-
traten. Der Wahrspruch erschöpfte in der Regel das volle Beweisthema, indem er
die zum Beweis gestellte Frage unmittelbar entschied und die einzelnen Ueber-
zeugungsmomente, welche dem Spruch zu Grunde lagen, latent blieben. Manchmal
gingen aber diese Aussagen mehr ins Detail und gaben die Geschworenen nur ihre
objektiven Wahrnehmungen an, es dem Gerichte überlassend, sich hieraus den relevanten
Schluß zu ziehen.
Der Inquisitionsbeweis war ein außerordentliches Beweismittel. Das Fränkische
Königthum machte ihn als fiskalisches Vorrecht in Prozessen um Königsgut geltend,
eine Einrichtung, welche vielleicht in den Fiskalprivilegien des Röm. Rechts einen
Anknüpfungspunkt fand. Im Wege des Privilegiums ist das Inquisitionsrecht, d. h.
die Befugniß, als Prozeßpartei in jedem Gerichte, auch im Volksgerichte die An-
wendung des Inquisitionsbeweises herbeizuführen, von den Fränkischen Königen auf
zahlreiche Kirchen und Klöster ausgedehnt worden. Wie nur der König und die
von ihm privilegirte Partei das Inquisitionsrecht besaß, so hatte auch nur der
König in seiner Eigenschaft als oberster Richter die Befugniß, in einem an ihn
gebrachten Prozesse von den Beweisformen des strengen Rechts zu entbinden und
eine Inquisitio anzuordnen. In der Regel erfolgte diese Anordnung durch ein
königl. Inquisitionsmandat, welches einen Missus mit der Vornahme der Inquisitio
im speziellen Falle beauftragte und der Partei, die es erwirkte, urkundlich ausgestellt
wurde („Indiculus, Brevis inquisitionis“), damit sie es am Tage des Prozesses vor-
weisen könne. Als Karl der Große das Institut der ordentlichen Missi geschaffen
hatte, erhielten die reisenden Richter allgemeine Vollmacht bei Rechtsstreitigkeiten,
die auf ihren Rundreisen vor sie gelangen würden, im Namen des Königs nach
eigenem Ermessen die Inquisitio anzuwenden. In erster Linie sollten sie von ihrer
Inquisitionsgewalt zu Gunsten von Wittwen, Waisen, homines minus potentes und
Kirchen Gebrauch machen, da diese einer prozessualen Vergewaltigung durch die
formalen Beweismittel zunächst ausgesetzt waren. In der Jurisdiktion der ordent-
lichen Gerichtsbeamten, der Grafen, Vizegrafen und der Centenarii war die In-
quisitionsgewalt nicht enthalten. Gegenständlich war die Inquisitio auf Streitig-
keiten um Grundbesitz und die ihm gleichstehenden Gerechtsame um die Freiheit und
um Eigenleute beschränkt. Außerhalb des Prozesses wurde sie zu fiskalischen Zwecken
in reinen Verwaltungsangelegenheiten verwendet.