118 Das denisqhe Reich und seine einjelnen Glieder. (April 3.)
jührung mäßiger Zölle. Unter den gleichen Gesichtspunkten wurde die Lage
der verschiedenen deutschen Industriezweige gewürdigt. Auch hier ergab sich,
daß verschiedenartige Aenderungen des bisherigen Tarifs im volkswirthschaft-
lichen Interesse geboten waren. Die Verschiebung in der ökonomischen Macht-
stellung der Nationen, verbunden mit manchfaltiger Ueberproduction in au-
deren Ländern, mußte es bedenklich erscheinen lassen, der fremden Industrie-
thätigkeit den deutschen Markt in dem gleichen Maße zugänglich zu lassen
wie bisher. Es kam dabei insbesondere in Betracht, daß in anderen Ländern
und auch in solchen, die schon bisher vom Freihandel viel weiter entfernt
waren, als Deutschland, das Bestreben zu # age kritt, der dortigen inläu-
dischen Production durch erhöhle Zölle in erster Linie den Absaß auf dem
einheimischen Markte zu sichern. Mährend die Vereinigten Staaten von
Amerika schon seit längerer Zeit ihrer Industrie einen solchen Schut erfolg-
reich haben zu Tkheil werden lassen und Rußland seit dem 1. Jan. 1877
durch die vorgeschriebere Zahlung der Zölle in Gold die fremden Waaren
höher belastet hat, haben Oesterreich-Ungarn und Italien bei dem Ablaufe
der Handelsverträge Anlaß genommen, die Waareneinfuhr durch neu festge-
stellte allgemeine Tarife zum Theil beträchtlich zu erschweren, und auch in
Frankreich — welches seinerseits unter dem System der Handelsverträge den
Schuß der nationalen Arbeit festzuhalten gewußt hatte — sind weitere Er-
wägungen über Aupassung des Zolliystems on die Bedürfnisse der einheimi-
schen Erwerbsthätigleit im Gange. In Erwägung dieser veränderten Ver-
hältnisse soll nach den Ergebnissen der stattgefundenen Prüfung auch der ein-
heimischen industriellen Produclion da, wo ein dringendes Bedürfniß nachge-
wiesen ist, ein etwas höherer Schutz als bisher gewährt werden. Im Gan-
zen aber soll derselben mehr als ein mäßiger Vorsprung vor der fremden
Concurrenz nicht eingeräumt werden. Auch ist überall sorgsam in Erwägung
gezogen, daß die Exportfähigkeit der deutschen Industrie erhalten und durch
Sicherung des einheimischen Marktes angemessen verstärkt werde.“
Der auf den Antrag Preußens d. h. des Reichskanzlers in
den Gesetzentwurf aufgenommene sog. Kampfzoll-Paragraph ist an
sich und dadurch von der weittragendsten Bedeutung, daß er den
ganzen Zolltarif mit Einem Schlag auf die Bedeutung von Mini-
malsätzen zurückführt. Es lautet wörtlich der §. 5:
„Waaren, welche aus Staaten kommen, welche deutsche Schiffe oder
Waaren deutscher Herkunft ungünstiger behandeln, als jene anderer Staaten,
oder welche deutsche Erzeugnisse mit einem erheblich höheren Einfuhrzoll be-
lasten, als solcher von ausländischen Erzeugnissen bei der Einfuhr in das
beutsche Zollgebiet erhoben wird, können, soweit nicht Vertragsbestimmungen
entgegenstehen, mit einem Zuschle bis zum Doppelten der tarifmäßigen
Eingangsabgabe belegt werden. Die Erhebung eines solchen Zuschlages wird
nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths durch kaiserliche Verordnung an-
geordnet.“ — Schon die Tariscommission hatle, ohne Zweifel im Einverständ-
nisse mit dem Reichskanzler, in ihrem kurzen Bericht au den Bundesrath
auf die Füglichkeit eines solchen Kampsgollparagraphen hingewiesen, hatte
jedoch aus Gründen der politischen Convenienz sich enthalten, selbst einen
soaichen zu formuliren. Die betreffende Stelle in dem Berichte der Tarifcom=
mission lautet: „Im Schoße der Commission gelangte auch die Frage zur
Erörterung, ob es sich empfehle, in das Kerisgefe eine Bestimmung aufzu-
nehmen, durch welche anderen Staaten für 55 einer unbilligen Er-
schwerung der Waaren-Einfuhr aus Deutschlen Vergeltungsmaßregeln in
Aussicht gestellt werden. Der seit dem 1. Januar d. J. geltende Zolltarif