Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Erster Teil. Bis zum zweiten Pariser Frieden. (24)

154 I. 2. Revolution und Fremdherrschaft. 
vermehrt; die Ausgaben freilich stiegen beträchtlich, auf 16—17 Millionen 
Thaler, da der König Kost und Bekleidung der Mannschaft endlich etwas. 
reichlicher, aber noch immer viel zu sparsam, bemessen ließ. Zur Ver- 
stärkung dieses ungenügenden Truppenbestandes sollte eine Land-Reserve 
von 50,000 Mann, vornehmlich aus den eximirten Klassen gebildet wer- 
den; ihre Einrichtung war eben im Gange, als die Kriegswirren von 1805 
der Politik der halben Reformen ein jähes Ende bereiteten. Ein genialer 
Plan Scharnhorst's, der im Frühjahr 1806 die Bildung eines großen 
Milizheeres von 300,000 Mann vorschlug, fand keine Annahme. Selbst 
die Verminderung des schwerfälligen Trosses und ähnliche technische Verbesse- 
rungen, die dem klaren Soldatenblicke des Königs nothwendig schienen, 
stießen auf den zähen Widerstand der gravitätischen alten Herren mit den 
langen Westenschößen. Der leutselige Fürst war empört über den Hoch- 
muth seiner Offiziere, schärft ihnen ein, sie sollten sich nicht unterstehen, 
„den geringsten meiner Bürger zu brüskiren: die Bürger sind es, nicht ich, 
die die Armee unterhalten.“ Doch er sah nicht, daß solche Mahnungen nichts 
fruchten konnten, so lange die alten Formen der Heeresverfassung bestanden 
und das Offizierscorps den anerkannt ersten Stand im Staate bildete. 
Wie sonderbar hatte sich doch das in seiner Härte und Rauheit so 
harmonische Heer der schlesischen Kriege verwandelt. Bereits wuchs eine 
neue, an Talenten überreiche Generation heran; alle die Helden des 
Befreiungskrieges gehörten längst der Armee an, die meisten schon als. 
Stabsoffiziere. In manchen Kreisen des Offizierscorps rührte sich ein 
frischer wissenschaftlicher Sinn, ein lebendiges Verständniß für die Gegen- 
wart. An der neuen Militär-Akademie hielt Oberst Scharnhorst seine 
Vorlesungen — der niedersächsische Bauernsohn, der im adlichen Han- 
noverlande kein Feld für seine Kraft gefunden hatte und endlich dem Rufe 
des Königs nach Berlin gefolgt war; er lehrte schon die der alten be- 
dachtsamen Kriegsweisheit unfaßbare Ketzerei, daß man „nie concentrirt 
stehen, aber sich immer concentrirt schlagen“ müsse; er erläuterte seine 
Sätze an den Kriegen Friedrich's und jenes jungen Bonaparte, den die 
fridericianischen Veteranen kaum als einen Bürgergeneral gelten ließen. 
Und vergessen in seiner kleinen schlesischen Garnison saß der ewige Haupt- 
mann Gneisenau über seinen Karten, verfolgte mit gespannten Blicken 
jeden Schritt des Corsen seit dem ersten italienischen Feldzuge, lebte sich 
ein in die Eigenart des dämonischen Mannes, als ob er ahnte, daß er 
dereinst dem Unüberwindlichen entgegentreten sollte. Das neue geistige 
Leben der Nation begann endlich auch auf diese militärischen Kreise, die 
ihm bisher ganz verschlossen gewesen, einzuwirken. Jede Richtung der 
Literatur fand unter den jüngeren Offizieren einzelne Vertreter, sogar 
der friedliche Weltbürgergeist der Kantischen Philosophie; beweglich klagte 
der Leutnant Heinrich Kleist, wie er in den Rheinfeldzügen seine Zeit so 
unmoralisch töden müsse.
	        
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