104 III. 2. Die letzten Reformen Hardenberg's.
Auch das Volk hielt seine Gemeindeverfassung hoch, schon weil sie rheinisch
war. „Wir wolle bleibe was wir sin“ hieß es kurzab, sobald man ver—
nahm, daß der Preuß eine Aenderung beabsichtige. Der kleine rheinische
Landmann, der mit der Gartenwirthschaft und dem Glücksspiele des Wein—
baues schon seine liebe Noth hatte, sah es keineswegs ungern, daß ihm
der gestrenge Bürgermeister die Arbeit und Sorge für das Gemeindewesen
abnahm; auch konnten die großen Bürgermeistereien für die Zwecke der
Wohlfahrtspolizei ungleich mehr leisten als die Zwerggemeinden der alten
Provinzen. Dieser praktische Vortheil war so unleugbar, und die Volks—
meinung so entschieden, daß selbst die abgesagten Feinde der französischen
Gesetzgebung, Stein und Vincke, die Bürgermeistereien und Aemter nicht
antasten wollten.
Ebenso schroffe Unterschiede zeigten sich im Städtewesen. In den
alten Provinzen war Stein's Städteordnung, nachdem sie die schwere Prüfungs-
zeit des Befreiungskrieges glücklich überstanden, den Bürgern allmählich
fest ans Herz gewachsen, und Stein hoffte, sein erprobtes Werk mit
einigen unwesentlichen Aenderungen bald auch in den neuen Provinzen
eingeführt zu sehen, weil die Selbstverwaltung die beste Schule preußischer
Staatsgesinnung sei. Die Rheinländer aber ließen sich's nicht träumen,
wie viel freier die Städteverfassung des verachteten Ostens war. Die
formale Gleichheit der französischen Municipalitäten genügte ihnen; bei
uns, sagte man stolz, gehen alle Klassen der Gesellschaft in dem einen
Begriffe des Bürgers auf. Der ernannte Bürgermeister mit seinen Bei-
geordneten war nach rheinischer Anschauung den deutschen Magistraten
des Ostens ebenso überlegen wie der napoleonische Präfekt den preußischen
Regierungscollegien. Der rheinländische Bürger freute sich, daß ihm die
vielen lästigen Ehrenämter der Stein'schen Städteordnung erspart blieben,
und Niemand bemerkte, daß ein Gemeinderath, der nicht selbst verwaltete,
auch keine wirksame Controle über den allmächtigen Bürgermeister aus-
üben konnte. Gewählte Magistrate wünschte man schon darum nicht, weil
man die Wiederkehr des Kölnischen Klüngels und seiner Vetternherrschaft
befürchtete. Die tiefsinnige Auffassung vom Staate und seinen Pflichten,
welche der Städteordnung Stein's zu Grunde lag, erschien hier im Westen,
wo Alles für die Ideen von 89 schwärmte, ganz unverständlich. Noch
im Jahre 1845 behauptete L. Buhl in einer Schrift über die Gemeinde-
verfassung der preußischen Rheinprovinz: das Beispiel „des Musterlandes
Frankreich“ beweise genugsam, daß Freiheit des Staates und Freiheit der
Gemeinden einander ausschlössen; vor diese Wahl gestellt müsse das libe-
rale Rheinland die Freiheit des Staates vorziehen. Der wackere Publicist,
einer der klügsten Liberalen der Rheinpfalz, hatte damit fast allen Be-
wohnern des linken Rheinufers aus der Seele gesprochen. Ein Volk, das
in solchen Anschauungen lebte und sich dabei noch seines Freisinns rühmte,
war für die harten Pflichten deutscher Selbstverwaltung offenbar noch