Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Unruhen in Leipzig. 143 
zunächst nur an einzelnen verhaßten Behörden und örtlichen Mißständen 
ausließ. Die Unruhen begannen hier schon vor der großen Woche der 
Pariser, als im Juni drei Tage lang das Jubelfest der Augsburgischen 
Konfession gefeiert wurde. Ein geistliches Lied mahnte die Sachsen, auch 
das kommende Jahrhundert hindurch der Kirche heilige Güter treu zu 
beschirmen: „dann jubeln frei wie ihr der Enkel freie Scharen“; und 
manche der Festreden klang wie ein Protest des lutherischen Volkes gegen 
die jesuitischen Umtriebe, die man den ausländischen Hofgeistlichen des 
greisen Königs zutraute. Da die Behörden in Dresden und Leipzig sich 
dem volkstümlichen Feste unfreundlich zeigten, so kam es in beiden Städten 
zu kleinen Aufläufen und Straßenhändeln; zuweilen erklang aus der 
aufgeregten Menge sogar der in Sachsen unerhörte Ruf: hoch Friedrich 
Wilhelm der protestantische König! Die eingeleitete Untersuchung hüllte 
sich in tiefes Geheimnis, und eine heftige Flugschrift, die das Gebaren 
der wachsamen, aber groben Leipziger Polizei kurzweg als „Schatten ohne 
Licht“ brandmarkte, mußte zur Beschämung der Kursachsen außer Landes, 
unter dem Schutze der strengen preußischen Zensur erscheinen. 
In den ersten Septembertagen brach der Groll von neuem aus; an 
zwei Abenden hintereinander trieb der Leipziger Pöbel argen Unfug. Die 
Bürger sahen schadenfroh zu, und als der geängstete Stadtrat sie am 
4. September zur Hilfe rief, hielten sie ihm zornig die Sünden seines 
Vetternregimentes vor, bis er endlich Rechenschaft von seiner Verwaltung 
abzulegen versprach. Die ganze nächste Nacht hindurch tobten die Massen 
wieder in den Straßen. Da und dort zeigte sich die französische Trikolore, 
und zuweilen erklang der Ruf: Freiheit, Paris, Lafayette! Im Grunde galt 
der Grimm nur den kleinen Stadttyrannen, und auch der Zunftgeist 
wollte in der erwerblosen Zeit sein Mütchen kühlen an gefährlichen Neben— 
buhlern. Die Wohnungen mehrerer Ratsherren und Polizeibeamten 
wurden „demoliert“ — so lautete die ausgegebene Losung — desgleichen 
einige verrufene Häuser, deren Damen sich der geheimen Gunst der Stadt— 
behörden erfreuten; die Schlosser grollten, weil der Rat die eisernen 
Bettstellen für ein Krankenhaus auswärts bestellt hatte, die Drucker wollten 
die neue Schnellpresse zerstören, die ihnen das Brot vom Munde nahm, 
die Lohnkutscher den Eilwagen im königlichen Poststalle. Am folgenden 
Morgen tat sich die Bürgerschaft zusammen und bildete eine Kommu— 
nalgarde; Rektor Krug berief die Studenten in die Paulinerkirche und 
ermahnte sie in feuriger Rede, mit den Bürgern vereint die Ordnung 
herzustellen. Dies gelang denn auch sogleich und ohne Widerstand. Die 
Kommunalgarde und die akademische Legion bezogen gemeinsam die Wachen 
— denn kraft alter Privilegien brauchte Leipzig außer der Schloßwache 
der Pleißenburg keine Garnison aufzunehmen. Die Bürger trugen die 
weiße Armbinde, die Studenten ihre Schläger und die bunten Verbin- 
dungsuniformen, die sich nunmehr dem Verbote zum Trotz an den Tag
	        
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