Unruhen in Leipzig. 143
zunächst nur an einzelnen verhaßten Behörden und örtlichen Mißständen
ausließ. Die Unruhen begannen hier schon vor der großen Woche der
Pariser, als im Juni drei Tage lang das Jubelfest der Augsburgischen
Konfession gefeiert wurde. Ein geistliches Lied mahnte die Sachsen, auch
das kommende Jahrhundert hindurch der Kirche heilige Güter treu zu
beschirmen: „dann jubeln frei wie ihr der Enkel freie Scharen“; und
manche der Festreden klang wie ein Protest des lutherischen Volkes gegen
die jesuitischen Umtriebe, die man den ausländischen Hofgeistlichen des
greisen Königs zutraute. Da die Behörden in Dresden und Leipzig sich
dem volkstümlichen Feste unfreundlich zeigten, so kam es in beiden Städten
zu kleinen Aufläufen und Straßenhändeln; zuweilen erklang aus der
aufgeregten Menge sogar der in Sachsen unerhörte Ruf: hoch Friedrich
Wilhelm der protestantische König! Die eingeleitete Untersuchung hüllte
sich in tiefes Geheimnis, und eine heftige Flugschrift, die das Gebaren
der wachsamen, aber groben Leipziger Polizei kurzweg als „Schatten ohne
Licht“ brandmarkte, mußte zur Beschämung der Kursachsen außer Landes,
unter dem Schutze der strengen preußischen Zensur erscheinen.
In den ersten Septembertagen brach der Groll von neuem aus; an
zwei Abenden hintereinander trieb der Leipziger Pöbel argen Unfug. Die
Bürger sahen schadenfroh zu, und als der geängstete Stadtrat sie am
4. September zur Hilfe rief, hielten sie ihm zornig die Sünden seines
Vetternregimentes vor, bis er endlich Rechenschaft von seiner Verwaltung
abzulegen versprach. Die ganze nächste Nacht hindurch tobten die Massen
wieder in den Straßen. Da und dort zeigte sich die französische Trikolore,
und zuweilen erklang der Ruf: Freiheit, Paris, Lafayette! Im Grunde galt
der Grimm nur den kleinen Stadttyrannen, und auch der Zunftgeist
wollte in der erwerblosen Zeit sein Mütchen kühlen an gefährlichen Neben—
buhlern. Die Wohnungen mehrerer Ratsherren und Polizeibeamten
wurden „demoliert“ — so lautete die ausgegebene Losung — desgleichen
einige verrufene Häuser, deren Damen sich der geheimen Gunst der Stadt—
behörden erfreuten; die Schlosser grollten, weil der Rat die eisernen
Bettstellen für ein Krankenhaus auswärts bestellt hatte, die Drucker wollten
die neue Schnellpresse zerstören, die ihnen das Brot vom Munde nahm,
die Lohnkutscher den Eilwagen im königlichen Poststalle. Am folgenden
Morgen tat sich die Bürgerschaft zusammen und bildete eine Kommu—
nalgarde; Rektor Krug berief die Studenten in die Paulinerkirche und
ermahnte sie in feuriger Rede, mit den Bürgern vereint die Ordnung
herzustellen. Dies gelang denn auch sogleich und ohne Widerstand. Die
Kommunalgarde und die akademische Legion bezogen gemeinsam die Wachen
— denn kraft alter Privilegien brauchte Leipzig außer der Schloßwache
der Pleißenburg keine Garnison aufzunehmen. Die Bürger trugen die
weiße Armbinde, die Studenten ihre Schläger und die bunten Verbin-
dungsuniformen, die sich nunmehr dem Verbote zum Trotz an den Tag