Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

228 IV. 4. Landtage und Feste in Oberdeutschland. 
im März 1831 zusammentrat, bestand fast durchweg aus Liberalen; die 
wenigen dem Ministerium näher stehenden Abgeordneten wagten kaum 
wider den Strom zu schwimmen. Und leicht war es nicht, gegen den 
undeutschen, echtfranzösischen Parteiterrorismus dieser liberalen Trium— 
phatoren aufzukommen; sie verlangten Rache für die langjährige Zu— 
rücksetzung, mißhandelten jeden, der nur um eines Fingers Breite von der 
alleinseligmachenden Lehre ihres Vernunftrechts abwich, als einen Höf— 
ling und Aristokraten und beräucherten sich selber wechselseitig mit einer 
maßlosen Eitelkeit, die dem Größenwahnsinn nahe kam. Rotteck schilderte 
nachher „das europäische Ereignis“ dieses Landtags in einem „Lese- und 
Lehrbuch fürs deutsche Volk“; 674 Seiten genügten ihm kaum, um die 
unermeßliche Wasserflut der liberalen Kammerweisheit ganz zu erschöpfen. 
Bildnisse der großen Volksmänner schmückten das Werk, vorn neben dem 
Titelblatte prangte natürlich das Bild des Verfassers, der in der badi— 
schen Presse allgemein als „Deutschlands größter Historiker“ gefeiert 
wurde; Großherzog Leopold aber, „der Volksfreund“, mußte sich mit einer 
bescheidenen Stelle mitten im Buche begnügen. 
„Französisierende Deutschtümler“ nannte Blittersdorff einmal die 
Genossen Rottecks mit dem Scharfblick des Hasses,“) und in der Tat 
war ihre blinde, untertänige Begeisterung für Frankreichs neue Frei— 
heit ebenso unbestreitbar, wie ihre nebelhafte Begeisterung für ein deutsches 
Vaterland irgendwo in den Wolken. Vernunft und Unsinn, polternde 
Phrase und nüchterne Beobachtung der Bedürfnisse der Gegenwart vertrugen 
sich freundnachbarlich in diesen Köpfen. Der badische Liberalismus vertrat 
die Interessen der erstarkenden Mittelklassen, ihr wohlberechtigtes Ver— 
langen nach Entlastung des Bodens, nach Freiheit des Wortes und des 
Verkehrs; aber er stand noch ganz unter der Herrschaft der selbstgefälligen 
alten Aufklärung, die nirgends in Deutschland sich fester eingenistet hatte, 
als hier in diesem lieblichen, wie für die Romantik geschaffenen Winkel; 
er betrachtete die Interessenpolitik des Bürgerstandes kurzerhand als 
„den geläuterten Ausdruck des vernünftigen Gesamtwillens“ und wähnte 
sich berufen, „das bloß dem Machtwort entfließende historische Recht dem 
Vernunftrechte zu unterwerfen“. Die Heimat dieses bürgerlichen Ver- 
nunftrechts war die Universität Freiburg, zu jener Zeit eine sehr bescheidene 
Leuchte deutscher Wissenschaft; die geistvollen Heidelberger Gelehrten hatten 
in ihrer großen Mehrzahl das Joch der alten naturrechtlichen Abstraktio- 
nen schon abgeschüttelt und hielten sich der Bewegung fern. 
Auch diesmal trat das alte Leiden des badischen Verfassungslebens, 
das natürliche Übergewicht des Beamtentums wieder grell zu Tage. 
Fast alle Redner der Opposition waren Staatsdiener, die Regierung wagte 
keinem mehr den Urlaub zu verweigern und sah sich bald durch die 
  
*) Blittersdorffs Bericht, 2. April 1831.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.