Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Altlutheraner. Lichtfreunde. 351 
die Herrschaft über seine Herde verloren hatte, legte sein Amt nieder und 
zog sich, ein gebeugter Mann, nach Potsdam zurück, wo ihn des Königs 
Gnade doch nicht über den tiefen Fall zu trösten vermochte. Seitdem 
schwoll das Selbstgefühl der Rationalisten mächtig an, und wie einst Alten— 
steins harte Unionspolitik den Sektengeist der Altlutheraner gestachelt 
hatte, so wurde jetzt der Radikalismus aufgereizt durch die streng kirchliche 
Haltung Eichhorns und des neuen Magdeburgischen Konsistorialpräsi- 
denten Göschel. Seit 1841 vereinigte sich eine starke Anzahl von ratio- 
nalistischen Geistlichen zu regelmäßigen Versammlungen, um die Neugestal- 
tung der Kirche im Sinne eines einfachen, vernunftgemäßen evangelischen 
Christentums zu besprechen; sie nannten sich selbst die protestantischen 
Freunde, von den Gegnern wurden sie als Lichtfreunde verspottet. Bald 
traten auch Laien hinzu, der Zulauf wuchs von Jahr zu Jahr. Die Eisen- 
bahnen bewährten sich hier zum ersten Male als eine demokratische Macht, 
die neuen Bahnlinien zwischen Saale, Elbe und Mulde führten Tausende 
herbei; auf dem weiten Köthener Bahnhofe tagten mehrmals große Volks- 
versammlungen der Lichtfreunde, die bei Bier und Tabak über die Zukunft 
des Christentums verhandelten. 
Die Führer dieser Bewegung zeichneten sich durch ehrliche Recht- 
schaffenheit und religiösen Ernst sehr vorteilhaft aus vor den windigen 
Helden des Deutschkatholizismus. Leberecht Uhlich hatte einst als Köthe- 
ner Landprediger seine protestantische Gesinnung, dem katholischen Hofe 
gegenüber, freimütig behauptet und dann in einem Magdeburgischen 
Dorfe sein Pfarramt mit solchem Eifer verwaltet, daß er eine Zeitlang 
gar in den Ruf des Pietismus geriet, weil die meisten anderen Ratio- 
nalisten sich um die Pflichten der Seelsorge wenig zu bekümmern pflegten. 
Als er jetzt eine Predigerstelle in der Stadt Magdeburg erhielt, strömten 
ihm die kleinen Bürger freudig zu. Sie glaubten ihm, denn er redete 
ihre Sprache und lebte mit ihnen, wie er auch seine Söhne zu schlichten 
Handwerkern erzog; die lärmenden Volksversammlungen schwiegen sofort, 
wenn der derbe grobknochige Mann mit den ernsten treuherzigen Augen 
seine starke Stimme erhob. Daß er selber noch fest auf dem Boden seiner 
geliebten evangelischen Kirche stände, war dem ehrlichen Rationalisten ganz 
unzweifelhaft; er predigte ja noch immer dieselben Grundsätze, die er einst 
bei Wegscheider auf der königlichen Universität gelernt hatte, und konnte 
gar nicht begreifen, warum ihm das jetzt zum Vorwurfe gereichen sollte. 
Ebenso grundehrlich war der Hallenser Pfarrer Wislicenus, ein hart- 
verständiger Kopf, der sich mit den Kämpfen der neuen Theologie doch 
etwas ernstlicher als Uhlich beschäftigt und darum auch einige Gedanken 
der Junghegelianer aufgenommen hatte. 
Diesen beiden Führern folgten viele hilflose, einfältig fromme Men- 
schen, denen das Herz schwer ward, weil sich der Widerspruch zwischen der 
christlichen Offenbarung und den landläufigen Lehrsätzen moderner Natur-
	        
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