Die Deutschen 101
Strenge instand gehalten worden war, nicht aber, weil man den Krieg als
solchen gewünscht, gewollt und herbeigefllhrt hätte.
Wie einst in der Geburtsstunde des Deutschen Reiches, in den schwülen
Julitagen des Jahres 1870, so vollzog sich im heißen August 1914 die
deutsche Mobilmachung mit überraschender Schnelligkeit und Dünktlichkeit.
Auch diesmal bedurfte es — um mit Moltke zu sprechen —, als sie befohlen
wurde, „nur der Unterschrift des Monarchen, die ganze gewaltige Bewegung
ihren ungestörten Verlauf nehmen zu lassen“. Wie damals wurde keine
Rückfrage an den Großen Generalstab gestellt, und als Kaiser Wilhelm II.
am 16. August Berlin in der Richtung auf Mainz verließ, um sein Haupt-
quartier vorerst in Koblenz zu nehmen, war die Versammlung der Kräfte
zum Vormarsch bereits so gut wie vollendet.
Dieses Erbe Moltkes war wohlverwohrt. Das war das Werdienst des
im Jahre 1910 verstorbenen Generalfeldmarschalls Grafen Schlieffen, des
Nachfolgers Molekes, und das des Neffen des großen Feldherrn von 1870,
des Chefs des Generalstabes, Generalobersken v. Moleke, dem die Vor-
bereitung der Mobilmachung zugefallen war, als er in den lehten Tagen
des Juli aus Karlsbad zurückkehrte, um die Leitung zu übernehmen.
Im übermenschlichen Ringen wurden alte Grundsäße lebendig, Grund-
säze der Führung, der Mannszucht und der Truppenverwendung. Was neu
binzutrat, wurde rasch und sicher zu einer Methodik entwickelt, die der Im.
provisation überlegen blieb und dem Massenheer bald in Fleisch und Blut
überging. Die Bewegungen begannen am 18. August und damit Feldzüge,
deren Entwicklung und Ausgang sich nicht voraussehen ließen, weil jeder
Maßstab versagte und der Zwei- und Dreifrontenkrieg die ungestörte Durch-
führung der Operationen nach einer einzigen Front nicht gestattete, von den
Überseeischen Kriegshandlungen und dem Seekrieg vorläufig ganz zu schweigen.
Der Krieg von 1870/71 ist trotz seiner Bedeutung und seines Amfanges
nicht zu vergleichen mit dem Kriege, der im Jahre 1914 Europa und die
Wele in den Grundfesten erschütterte. Und doch schrieb Molktke schon in
seiner Darstellung jenes Feldzuges, es sei eine Täuschung, wenn man glaube,
einen Feldzugsplan auf weit hinaus feststellen und bis zu Ende durchführen
zu können. Der erste Zusammenstoß mit der feindlichen Hauptmacht schaffe
je nach seinem Ausfall eine neue Sachlage. „Vieles wird unausführbar,
was man beabsichtigen mochte. Die geänderten Berhältnisse richtig auf.
fassen, darauf auf eine absehbare Frist das Iweckmäßige anordnen und ent.
schlossen durchführen ist alles, was die Heeresleitung zu tun vermag.“
Der einfache Grundplan des Feldzuges gegen das kaiserliche Frankreich
im Jahre 1870 faßte von Haus aus die Eroberung der feindlichen Hauptstadt
ins Auge. Auf dem Wege dahin sollte die Stereitmacht des Gegners möglichst
von dem an Hilfsmitteln reichen Süden ab- und in das engere Hinterland
des Nordens gedränge werden. Maßgebend vor allem aber war der Ent-