Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

England und Deutschland 9 
die Schaffung einer Koalition gegen die kontinentale Vormacht ausgegangen 
und hatte dabei stets seine Rechnung gefunden. 
Oas Interesse Englands war und ist immer und eindeutig das Interesse 
des britischen Imperiums. Dieser Imperialismus sieht stets — eine Folge 
jahrhundertelanger Schulung — die Dinge vom insularen Standpunkt aus. 
Aus dieser llaren, egozentrischen Auffassung britischer Staatspolitik floß 
seit Generationen die einheitliche Betrachtung aller europäischen und uni. 
versellen Fragen, einerlei, ob es sich um Handelsverträge, um Ausbreitungs. 
versuche anderer Mächte in Afrika und Asien, um die orientalische oder 
persische Frage oder um die Sprengung oder Unterstützng festländischer 
Bündnisse und Gruppierungen handelte. Der Staatsegoismus, der sich 
darin bekundete, ist von jeber das sichere Grundgefühl der britcischen Staats- 
kunst gewesen und hat vielleicht zu einer starken Einseitigkeit, sicher aber 
auch zu einer festgefügten Grundsählichkeit der britischen Politik geführt. 
Oeutschland hingegen war in seiner politischen Strategie auf „ein 
System von Ausbilfen“ angewiesen, die ihm gestatten sollten, zwischen den 
bereies verankerten russischen, französischen und englischen Weltinteressen 
für ein eigenes deutsches Interesse Grund zu suchen und sich den „Plag an 
der Sonne"“ zu sichern. Ihm fehlte dabei im Gegensag zu den Angelsachsen 
eine feste #berlieferung und jegliche Erfahrung, auch stieß es fast Überall auf 
glückliche Besiger oder ältere Anwärter und Miebewerber. Es fand nie die 
nötige Rückenfreiheit zur Einhaltung einer folgerichtigen, bestimmten Grund- 
gesetzen geborchenden Weltpolitik. Unter dem Zwange dieser Umstände setzte 
Deutschland an die Stelle der Politik der freien Hand zuweilen die Politik 
der gepanzerten Faust, ohne indes aus der schreckenden Gebärde heraus- 
zutreten oder den europäischen Frieden aus dem Gedanken an Krieg, an 
die FVortsegung der Politik mit gewaltsamen Miteteln, zu bedrohen. Das 
gab der deutschen Staatskunst nach außen etwas Unsicheres, scheinbar Un- 
berechenbares und setzte sie weiteren gefährlichen Vorurteilen aus (4). 
Bismarck, der letzte große Staatsmann, der in Europa die Welt be- 
griff und diese europäische Welt beherrschte, hat noch keine Weltmacht. 
politik im modernen Sinne betrieben. Er hat selbst in seiner großzügigen 
europäischen Policik die deutschen Interessensphären so nach den Bedürf. 
nissen der Zeit und der Umstände abgegrenzt, daß er noch im Jahre 1888 
für die Lösung gewisser Balkanfragen nicht die Knochen eines einzigen 
vommerschen Grenadiers opfern wollte. Dadurch entging er dem Zusammen- 
stob mit Rußland und der Auseinandersetzung mie England. 
Die Entwicklung ist darüber hinweggeschritten. Im Jahre 1914 hat 
sich der europäische Krieg an der Balkanfrage entzündet, und deutsche 
Soldatengräber wurden von den Karpathen bis Podolien und Wolhynien, 
in Serbien, Rumänien und Mazedonien gehäuft und schmiegten sich ktief 
in die Hügelfalten der Landzunge von Gallipoli und die Sanddünen von Suez.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.