Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

10 Aus der Vorgeschichte des Krieges 
Der Gegensatz, der zwischen Deutschland und England entstanden war, 
als sich gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts die weltwirtschaftlichen 
Interessen Deutschlands in weltpolitische Tätigkeit umzusetzen begannen, 
konnte beschworen werden, wenn es gelang, die Machtfrage auf ihre Wurzel 
zurückzuführen und einen Ausgleich der Interessen anzubahnen. Der erste 
Versuch ist noch vor dem Wurenkrieg gemacht worden und gescheitert. 
Zog die altbritische Staatskunst aus der stolzen, ungebrochenen poli- 
tischen Merlieferung ihres Landes eine große Stärke, so erlitt sie auf der 
anderen Seite durch die Bewahrung dieser Tradition eine gewisse Einbuße 
an Beweglichkeit. Die britischen Staatsmänner des zwanzigsten Jahr. 
hunderes verkannten, daß die alte und erprobte britische Staatspolitik, die 
sich auf dem Grundsatz der Aufrechterhaltung der „balance of powers“ 
in Europa aufgebaut hatte, durch die Entwicklung Überholt worden war. 
Die internationale Interessenverslechtung hatte im Laufe des Maschinen. 
zeitalters eine internationale Gemeinbürgschaft der Interessen geschaffen, 
die England nicht mehr gestattete, seinen Plag außerhalb dieser Gemeinschafe 
zu wählen. Demnnoch hielt England an dem Fundamentalsag britischer 
Politik, der Aufrechterhaltung eines britisch geordneten europäischen Gleich- 
gewichts, fest und nahm seine Koalicionspolitik wieder auf, die es schließlich 
in den Kampf mit Deutschland getrieben bat (5). 
Die Politik König Eduards 
Das europkische Gleichgewicht, das nach englischer Auffassung die 
Muhelage des alten Kontinenes durch gegenseitige Schachstellung der Fest. 
landsmächte sicherstellte und England außerhalb dieser Gruppierung eine 
Vormacht- und Sonderstellung ermöglichte, war infolge des natürlichen 
Wachstums Deutschlands sowie der VBeränderung der Gewichtsverhältnisse 
am Galkan toter Buchstabe geworden, ein Begriff, den die Entwicklung, 
„das Kleinerwerden der Entfernungen“ und die weltumspannende WVer- 
flechtung der Wirtschaftsinteressen in die Luft gesprengt hatten. England 
hing an ihm und schlug sich für ihn. Das ist begreiflich, denn dieser Aufrecht. 
erhaltung der „balance of powers“ auf dem Feslland verdankte das Insel- 
reich die ungestörte Ausbreitung seiner Welthandelsherrschaft und der 
Gewalt über die Meere und alle Randländer, die zur Erschließung fremder 
Erdteile nötig waren. Stand die europäische Wage, in der die Lose 
Frankreichs, Rußlands, Osterreichs und Deutschlands ruhten, im Gleich- 
gewicht, so hatte ein Hauch des britischen Kabinetts genügt, sie nach der 
gewünschten Seite zum Ausschlag zu bringen. Beliebte England die von 
der zitternden Nadel angezeigte Schwebelage, so war es ihm ein leichtes, 
seine Herrschaft jenseits der Meere zu erweitern und zu befestigen, während
	        
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