Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

Betrachtungen zur Schlacht bei Tannenberg 251 
Stoßtaltik verharrenden Osterreicher gelrönt worden. Der strategische 
Vorteil der inneren Operationslinien hatte sich im Laufe der Bewegungen 
in den taktischen Nachteil des Umfaßtseins verwandelt. 
Dieser Gefahr war auch die deutsche Ostarmee ausgesecht, als sie 
rechts der Weichsel noch einmal zur Schlacht aufmarschierte. Der Nusse 
hatte bei seinem Vormarsch sogar die Zersplitterung der Kräfte ver- 
mieden, aus welcher man Moltke 1866 einen Vorwurf gemache hat, als 
hätte dieser damals überhaupt anders handeln können, da doch alles auf 
rasche, kühne Offensive ankam, um Frankreichs Dazwischentreten bintan- 
zuhalten. 
Statct in einzelnen Korps sind die Russen in zwei großen Armeen 
von Osten und Süden in Preußen eingefallen. Sie hatten sich gegenseitig 
durch eine Verbindungsstaffel gesichert, und RKennenkampf wie Samsonow 
blieben bemüht, ihre Streitkräfte zusammenzuhalten. Zwischen ihnen war 
die kleine 8. Armee so gefährdet, daß man ihr laum WBerteidigung, ge- 
schweige denn den Angriff zutrauen oder gar zumuten konnte. Und gerade 
das geschah, geschah mit dem Zwecke, den Gegner nicht nur abzuweisen, 
sondern zu vernichten. Es war die erste Wernichtungsschlacht seit Sedan. 
Bei Sedan fügte sich der Ring um eine Heeresmacht von 124 000 Mann, 
die an sich eine so starke und bewehrte Masse darstellte, daß sie vollständig 
totoperiert werden mußte, ehe sich auf der Zitadelle von Sedan die weiße 
Fabne erhob. Aber es war keine in voller Krafe stehende und von ungebroche. 
ner Angriffslust beseelte Armee, kein unbesiegter Feldherr, die dort die 
Waffen streckten. Auch war die französische Armee nicht durch militärische 
Kurzsichtigkeit, sondern infolge politischer Weisungen in die unterlegene 
Stellung gedrängt worden, in der sie am 1. September ihren Todeskampf 
gekämpft hat. Policische Einflüsse hatten der Armee Mac Mahons die 
selesamen Bahnen gewiesen, die bei Sedan mit der Dbergabe enden sollten. 
„Endlich war eine Schlacht bei Kannäd geschlagen, eine vollständige Ein- 
schließung des Feindes erreicht worden.“ In diesem Sag gipfelt die geistvolle 
Betrachtung, die Generalfeldmarschall Schlieffen in seiner wundervollen 
Kannästudie über die Schlacht bei Sedan angestellt hat. 
WVom 24. bis 30. August 1914 ist bei Tannenberg ein neues Kannê 
geschlagen worden, bedeutsamer als das von Sedan, weil es im freien Felde 
stattfand und der Gegner, dem es bereitet wurde, üÜberlegen war an Jahl, 
noch keine Schlappe, geschweige eine Niederlage erlitten hatte, sich im ersten 
schwungvollen Vormarsch befand und wußte, daß er einem schwachen Gegner 
gegenübertrat. Zudem stand eine zweite russische Armee kaum zwei Tage- 
märsche entfernt, von der sich die deutschen Truppen, welche das neue Kannä 
schlagen sollten, soeben erst nach schwerem Kampf gelöst batten. 
General v. Hindenburg hat keine günstigen strategischen Borbedingungen 
gefunden, als er den Geldherrnstab ergriff. Er fand keine Glücksgscter, aber
	        
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