Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

252 Der Feldzug in Ostpreußen bis zum 15. September 1914 
einen ausgezeichneten Berater und Helfer, seinen Stabschef Ludendorff, 
neben sich, als er den Plan zu einer Offensive faßte, die schon in der Anlage 
den Gedanken einer vollständigen Bertreibung und WBernichtung des in 
Ostpreußen eingefallenen Russenheeres von zwei Armeen zu je 250 000 Mann 
enthielt. Der Erfolg, den die deutsche Ostarmee jenseits der Weichsel in 
bangen Tagen gesucht hat, mußte dem Schicksal und einem überlegenen 
Feind abgerungen und abgetrogt werden. 
Es bleibt sogar zweifelhaft, ob — wie die geschäftige Legende wissen 
will — der Sektgeist des Kellers im „Dessauer Hof“ den Stab des Generals 
Rennenkampf verhindert hat, die Njemenarmee gegen Allenstein in Be. 
wegung zu setzen, und noch zweifelhafter, ob Rennenkampf Samsonow kalt. 
herzig seinem Schicksal überlassen hat. Nach unserer Auffassung gehören 
solche Erzählungen in das Gebiet geschäftig spinnender Phantasie. General 
Rennenkampf mochte, wie zum Werständnis der Zusammenhänge noch ein- 
mal erwähnt sei, seine Aufgabe in der Berennung Königsbergs erblicken, 
dessen weit vorgeschobene Verteidigung große Streitkräfte vortäuschte, die 
sich von Gumbinmen dorthin geworfen haben konnten und seine Armee banden. 
Rennenkampf sah die Festung als gegebencs unbewegliches, die hinein- 
geworfene Armee als gegebenes bewegliches, nun festgelegtes Angriffs- 
objekt vor sich und handelte auf Grund dieser falschen Auffassung folgerichtig, 
indem er die strategische Position Königsberg zu bezwingen suchte und 
Samsonow die Ausräumung des Landes und den Vormarsch auf die preußische 
Weichsellinie überließ. 
„Eine vollkommene Schlacht bei Kannä ist in der Kriegsgeschichte nur 
selten zu finden,"“ schreibt Schlieffen am Schluß seiner strategischen Seudie — 
bei Tannenberg ist sie geliefert worden, neu und eigen angelegt und doch 
nach dem WVorbild des großen Kampfes am Aufidus. Hier wie dort wurde 
der Sieg mit unterlegenen Kräften und ohne große eigene Verluste durch 
doppelseitige Umfassung und Einwirkung auf Flanken und Rücken bei 
Versagung der eigenen Mitte erstritten. Doch während Hanmibal rücken- 
frei, wenn auch auf fremdem Boden und fern seiner Operationsbasis 
kämpfte, erfocht Hindenburg seinen Sieg untcer der Bedrohung, die sich 
für ihn aus der Nähe Rennenkampfs ergab, der schon mit zwei Korps 
durch einen Flankenangriff über Aössel das Schicksal Samsonows hätte 
wenden können. 
Daß Nennenkampf sich damit begnügt hatte, seine zu strategischer 
Erkundung untaugliche Kavallerie vorzutreiben, wurde ihm zum Ver- 
bängnis, denn nun war die Armee Hindenburg des näherstehenden Geg- 
ners vollständig ledig geworden und der siegreiche deutsche Feldberr in der 
Eage, den zweiten Schlag zu führen. Er galt einem breitgelagerten Heere, 
das sich in einer Aufstellung befand, die von der Samsonows durchaus 
verschieden war.
	        
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