Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

262 Der Feldzug in Ostpreußen bis zum 15. September 1914 
konnte. Es war dem König aber nicht mehr möglich, bis zur sinkenden Nacht 
und mit den schwachen Kräften, die er noch übrig hatte, nun die doppelseitige 
Umfassung durchzuführen, zu der Karl Gelegenheit bot, da die österreichische 
Masse sich bei der hastigen Herstellung der neuen Front nicht nach der Greite, 
sondern nach der Tiefe entwickelt und diese viele Glieder tiefe Flanke un- 
geschüst gelassen hatte. Friedrichs „inégale force“ reichte zur Einkreisung 
des Gegners nicht mehr aus, das österreichische Heer entwich, aber ein voller 
Sieg blieb gleichwohl in des Königs Hand. 
Auch General Rennenkampf rettete den größeren Teil seiner Armee 
aus der Niederlage, während Samsonow unter ungünstigeren Umständen 
und bei noch unzweckmäßigerem Verfahren mit zwei Oritteln seiner Streiter 
zugrunde ging. Inwiefern die Schlachet an den masurischen Seen und das 
Angriffs- und Verkteidigungsverfahren wie auch das Verhalten der beiden 
Gegner an die strategischen Verhältnisse der Schlacht an der Marne er- 
innert, bleibe der Betrachtung einer anderen Stunde vorbehalten. 
Die 1. Armee kam diesseits des Njemen und der Festungslinie nicht 
mehr zum Stehen. Dbel zerrüttet und um mehr als ein Wiertel ihrer 
Stärke geschwächt, entrann sie dem Verhängnis und strömte in ihren 
ursprünglichen Aufstellungsraum zurück. 
Schlieffen hat den grundlegenden Sagß ausgesprochen, daß die moderne 
Schlacht immer mehr zu einem Ringen um die Flanken werde. In diesem 
ARingen um die Flanken war im Westen keiner der beiden Gegner endgültig 
Sieger geblieben, nachdem die erfolgreiche deutsche Amfassungsbewegung der 
ersten Kriegsphase durch die französische Gegenumfassung an der Marne 
erwidert worden war und die oberste deutsche Heeresleitung den strategischen 
NRückzug beschlossen hatte. Im preußischen Osten war es bis auf diesen Tag zu 
einem eigentlichen Ringen um die Flanken nicht gekommen, weil Hindenburg 
dem Gegner schon vor der Verlhrung das Geseh auferlegte, sich die Einwir- 
kung auf die Flanken des Gegners schon im Anmarsch sicherte und den Feind 
in seinen Zirkel zwang, ehe die schwerfällige, durch Flieger und Kavallerie 
schleche unterrichtete russische Leitung die strategische Lage erfaßt und danach 
gehandelt hatte. Das Moment der strategischen Uberraschung hat zugleich mit 
dem lebendigen Ergreisen der Gelegenheit und in planmäßiger Auswirkung 
des Angriffsgedankens bei Tannenberg und in Masuren den Sieg entschieden. 
Samsonow war mit schmaler Front und tiefen Flanken, Rennenkampf 
mit breiter Front und schmalen Flanken — beide von unterlegenen deutschen 
Kräften — geschlagen worden. So wurde sogleich zu Beginn der Ope- 
rationen der Erfahrungssaß aufgestellt, daß der Russe dem deutschen Schwerte 
verfallen war, solange er sich zum Bewegungskrieg bereitfinden ließ. Hinden- 
burgs Klinge hat den Sommerfeldzug in Ostpreußen binnen zwanzig Tagen 
mie einem Doppelhieb zu Ende gebracht. Kurz darauf donnerten seine Ge- 
schüse vor Ossowiez, warfen seine Vortruppen die Russen aus Suwalli.
	        
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