Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

Die Politik König Eduards 13 
politisch wirkender Kräfte, von der Deutschland wiederum ausgeschaltet 
blieb, während sowohl Italien und Spanien als auch Rußland mittelbar 
daran beteiligt wurden. Deutschland kam zu spät und sah sich fertigen Ver. 
hältnissen gegenüber, die nach angelsächsischer Anschauung als solche zu 
gelten und nach französischer bereies zu untilgbaren Rechten geführt hatten. 
Im Augenblick, da das Deutsche Reich sich an diesen neugesteckten 
Interessensphären stieß und den Versuch machte, die Abgrenzung derselben 
in Frage zu stellen, mußte es bei allen auf Widerstand treffen, die an diesen 
Verträgen und Auseinandersetzungen beteiligt waren. Diese Erkenncnis 
ist offenbar in Berlin nicht so weit durchgedrungen, daß man daraus die 
richtige Schlußfolgerung gezogen hätte. Man glaubte sich nur mit Frank. 
reich auseinandersetzen zu müssen, wenn man die französische Republik 
verhindern wollte, von Marokko Besitz zu ergreifen. Auch diese politische 
Gegenhandlung wurde durch Gebärden unterstrichen, die in der Reise Kaiser 
Wilhelms II. nach Tanger und der Begrüßung des Sultans Abd ul Asis 
ihren stärksten Ausdruck fanden. Gelangte Frankreich in den Besitz Marokkos, 
so gewann es in der Tat nicht nur einen so großen Zuwachs an Gebiet, daß 
die Machtverhältnisse in Afrika dadurch verschoben wurden, sondern entzog 
dem deutschen Wettbewerb auch einen aussichesreichen Markt. Die fran- 
zösische Wirtschafespolitik ging ia mehr und mehr auf die Schließung 
der Türen, während Deutschland, das bei der Verteilung der Erde zu spät 
gekommen war, immer entschiedener auf offene Türen hbalten mußte, um 
seinem Handel und seiner Industrie neue Wege zugänglich zu machen. 
Als Frankreich seine Ausdehnungspolitik auf Marokko erstreckte, sah 
es sich dem Deutschen Reiche zum erstenmal außerhalb Europas feindlich 
gegenüber. Bismarck hatte nie daran gedacht, Frankreich von exotischen 
Unternehmungen abzuhalten oder ihm bei solchen in den Arm zu fallen, 
ja sich stets bemüht, es hierdurch in der Ferne zu binden und von alten 
Erinnerungen und Eroberungen abzulenken. Zwar hatte sich die weltwirtschaft. 
liche Enewicklung so gestaltet, daß Deutschland die Verteilung der letzten 
Märkte und Gebiete unter seine imperialistischen Nebenbuhler nicht mehr 
ohne Einspruch gestatten, geschweige denn fördern konnte, aber es war ge- 
fährlich und zeugte von geringem Verständnis, wenn die deutsche Staats- 
kunst glaubte, es in der Marokkofrage nur mit Frankreich zu cun zu haben. 
Zum mindesten bedurfte es hierzu einer starken und zuverlässigen Rücken. 
deckung, denn trat England neben Frankreich, so erwuchs aus einem marok. 
kanischen Konflikt und einer deutsch-französischen Auseinanderseczung alsbald 
die Gefahr eines Zusammenstoßes Deutschlands mit den Westmächten, 
und da Frankreich mit Rußland verbündet war, auch mit diesem. Nur eine 
Verständigung mit Rußland oder mit England konnte einen Krieg ver. 
bindern, in dem Deutschland sich überwältigender Dbermacht gegenüber 
gesehen hätte. Aber auch zu Rußland führte keine Brücke.
	        
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