Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

14 Aus der Vorgeschichte des Krieges 
Eduard VII. hatte Frankreich mit zarten Fäden an das britische Interesse 
geknüpft und durch Frankreich Rußland gebunden. Er selbst aber besaß 
noch freie Hand, die fest zu ergreifen niemand recht gelingen wollte. Die 
zarten Fäden, die diese feine Hand gesponnen hatte, sind durch die marok. 
konische Politik Deutschlands nicht zerrissen worden, sondern wuchsen sich 
dadurch zu festen Strängen aus, die von England nur noch mit großer Mühe, 
von Frankreich überhaupt nicht mehr gelöst werden konnten. 
So mußte sich Deutschland bequemen, zu einer europäischen Konferenz 
zu gehben, um seine politische Stellung in der Marokkofrage zu wahren. 
Als diese am 7. Januar 1906 zu Algeciras zusammentrat, sah sich Deutsch- 
land nicht nur Frankreich gegenüber, sondern auch genötigt, die Frankreich 
unterstügende Polin#k Englands und Rußlands zu bekämpfen. Da Italien 
sich im Banne seiner Mittelmeerinteressen im Hintergrund hielt und Oster- 
reich-Ungarns Beistand nicht genügte, dem Standpunkt Deutschlands An- 
erkennung zu verschaffen, endete die Konferenz mit einem vieldeutigen Kom- 
promiß. Frankreich schied als die in Marokko bevorrechtete europäische 
Macht von Algeciras, wo nur noch Spanien eine Sonderstellung zugebilligt 
und die Offenhaltung des marolkanischen Marktes ausgesprochen wurde. 
Der Sultan von Marokko galt zwar auch ferner als unabhängig, aber der 
friedlichen Durchdringung des Maurenreiches durch die Franzosen stand 
fürder nichts mehr im Wege. 
Deutschland mußte sich damit begnügen, ein europäisches Papier er- 
stricten zu haben, dessen Auslegung dehnbar war und dessen Vorteile nicht ihm 
zugute kamen, sondern Frankreich einen, wenn auch beschränkten, Rechtstitel 
gaben. Schon damals waren die Fäden, die Eduard VII. mit Grey und 
Delcassé gesponnen hatte, stärker als sie schienen. In ihren Schwingungen 
drückte sich fortan die Erhöhung der Weltspannung am deutlichsten aus, zu der 
die Ententepolitik des englischen Königs seit dem Jahre 1902 geführt hat. 
England war Freundschaften und Gündnisse eingegangen, ohne 
sich dadurch in seiner eigenen Bewegungsfreiheit wesentlich einschränken 
zu lassen. Das Bündnis mie Japan stellte den fernen Osten sicher und band 
Rußland in der Mandschurei, das Einvernehmen mit Rußland führte zu 
einer Abgrenzung der vorderasiatischen Einflußsphären, wie sie für England 
nicht günstiger gedacht sein konnte, und das herzliche Einvernehmen mit 
Frankreich gab den Suezkanal und Agypten samt dem Sudan vollständig in 
britische Hand. Portugal lag seit altersher in einem Schuyverhältnis zu 
England gebunden, und Italien stand infolge seiner offenen, langgestreckten 
Küsten uncer dem Einfluß britischer Wünsche, der sich in der britischen See- 
herrschaft verkörperte. 
König Eduard hatte seinem Lande das Schiedsrichteramt und damit 
die Vorherrschaft Europas durch seine neue Methode — Abschluß von 
einseitig bindenden Freundschaften — kampflos gesichert.
	        
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