Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

38 Aus der Vorgeschichte des Krieges 
weder zu dem einen noch zu dem anderen in erster Linie in der orientalischen 
Frage berufen. Jede Großmacht, die außerhalb der Interessensphäre auf 
die Policik der anderen Länder zu drücken und einzuwirken und die Dinge 
zu leiten sucht, die periklitiert außerhalb des Gebietes, welches Gotkt ihr 
angewiesen hat, die treibt Machtpolitik und nicht Interessenpolitik, die wirt.- 
schaftet auf Prestige hin. Wir werden das nicht tun; wir werden, wenn orien- 
talische Krisen eintreten, bevor wir Stellung dazu nehmen, die Stellung 
abwarten, welche die mehr interessierten Mächte dazu nehmen.“ 
Als im Jahre 1914 die größte orientalische Krise ausbrach, die bis anhin 
die Welt erschüttert hatte, waren diese von Bismarck meisterhaft dargestellten 
Verhälenisse vollständig verschoben worden. Deutschland war nicht mehr 
in der Lage, abzuwarten, daß die in der Levante nächstbeteiligten Mächte 
sich mit Rußland vertrugen oder schlugen, denn Osterreich-UAngarn hatte 
diesmal seine Existenz an den Konflikt gewagt, und Rußland stand sprung- 
bereit hinter dem Zwischenvorhang, der den Krieg der beiden großen Mächte- 
gruppen verbarg. 
Der Zerfall des Balkanbundes hatte Rußlands Hoffnungen auf eine 
Lahmlegung Osterreich-Ungarns geknickt, Serbiens Machtstellung war aber 
doch so gestärkt worden, daß sein Oruck auf Osterreich-Ungarns Flanke 
dauernd wuchs, zumal die großserbische Propaganda, aller Versprechungen 
ungeachtet, sich frei und freier entfaltete. Da Bulgarien zu Tode matt und 
von Rumänien, Griechenland und der Türkei durch bittere Erinnerungen ge- 
schieden aus den Kriegen vereinsame hervorgegangen war, brauchte Serbien 
um eine Rückendeckung wenig zu sorgen. Bulgarien hatte seine Fahnen 
für ferne bessere Jeiten einrollen müssen, wie Zar Ferdinand mit deutlichem 
Vorbehalt erklärte, als am 10. August 1913 der trügende Friede zu Bukarest 
geschlossen wurde. 
Der Frieden von Bukarest, den Rumäniens militärisches und politisches 
Flankenmansver mit Rußlands Einverständnis herbeigeführt hatte, ordnete 
die Verhälenisse auf dem Balkan neu, trug indes den Keim künftiger Kriege 
in sich. Sein Datum ist der Todestag des europäischen Konzertes. Europa, 
elnst Jovis Geliebtee, dann der Inbegriff politischer Machtefülle, wurde ein. 
balsamiert und aufgebahrk, aber nicht begraben. Als Mumie sollte das 
europäische Konzert fortbestehen, damit es im Tode noch den europäischen 
Krieg schrecke und fernhalte. Da man von einer Ourchsiche des Balkan- 
friedens das Schlimmste fürchtete, ließ man die Neuordnung der WVerhält. 
nisse geschehen. 
Als Balkangroßmacht war Serbien aus den Walkankriegen hervor- 
gegangen, ohne jedoch den Ausgang auf die Adrla erkämpft zu haben. Weder 
Tur noch Fenster waren ihm dort zugesprochen worden. Osterreich-Ungarn 
batte die Gefahr erkannt, die aus dem Erscheinen Serbiens an der Adria 
erwachsen mußte. Standen die Serben in adriatischen Häfen, so war das
	        
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