44 Aus der Vorgeschichte des Krieges
das indes noch der Zustimmung der Hohen Pforte bedürfe, ehe sein Inhalt
der Offentlichkeit ubergeben werden dürfe. Es war der letzte Lichtblick im
Ounkel.
Kurz darauf fielen in Serajewo zwei Pistolenschüsse und erschütterten
mit ihrem schwachen Knall die ganze Welt. Die europäische Tragödie kün-
digee sich an.
Die Stellung der Mächte zur Kriegsgefahr
Erzherzog Franz Ferdinand, der österreichisch-ungarische Thronfolger,
und seine Gemahlin waren am 28. Juni 1914 bei einem Besuche der bosnischen
Hauptstadt von dem serbischen Hochschüler Princip erschossen worden.
Dem Anschlag lag eine Berschwörung zugrunde, deren Fäden nach Belgrad
liefen.
Vier Wochen später, nach Durchführung der Untersuchung, überreichte
der österreichisch-ungarische Gesandte in Belgrad der serbischen Regierung
eine Note, die Serbien vorwarf, es habe sein Versprechen vom 31. März
1909, sich auf freundschaftlichen Fuß mit Osterreich-Ungarn zu siellen, nicht
gehalten und sei ein Herd verbrecherischer Werbearbeit geblieben, die auf
Losreißung der angrenzenden Gebiete der Monarchie ziele. Dieser Propa-
ganda der Lat sei auch der Thronfolger zum Opfer gefallen. Demgemäß
forderte Osterreich--Ungarn am 23. Juli die Annahme und WVeröffentlichung
einer genau vorgeschriebenen Erklärung, in welcher die großserbische Hro-
paganda von der Königlich Serbischen Regierung verurteilt und denjenigen
die größte Strenge angedroht wurde, die sich solcher Handlungen schuldig
machten. Diese Erklärung war dem serbischen Heer durch einen königlichen
Tagesbefehl zur Kenntnis zu bringen und im Militäramtsblatt zu ver-
öffentlichen. Der serbische Volksverein (Narodna Odbrana) sollte unter
Mitwirkung österreichisch-ungarischer Beamter aufgelöst und gegen die in
Serbien zu suchenden Teilnehmer an dem Mordanschlag von Serajewo eine
Untersuchung eingeleitet werden, an der ebenfalls österreichisch--ungarische
Organe mitzuwirken hatten. Darüber hinaus ging die weitere Gorderung,
österreichische Beamte in Serbien an der Unterdrückung der gegen die Mon-
archie gerichteten Bestrebungen teilnehmen zu lassen (18).
Diese Note — nach Form und Inhalt ein Akt von unerhörter Schärfe
— wurde auf zweimal vierundzwanzig Stunden befristet und sollte jeder Er.
örterung entzogen sein. Als Anewort wurde ein Ja oder Nein verlangt. In
einem Rundschreiben an die Botschafter in Berlin, Rom, Paris, London,
St. Petersburg und Konskancinopel legte der österreichisch-ungarische Minister
Graf Berchtold die Gründe dar, die zu diesem Schritt geführt hatten, und
ließ die ergangene Weisung den Mächten mitteilen. Es kann kein Zweifel
darüber herrschen, daß Osterreich--Ungarn sich der Tragweite seines Schrittes