Im Irrgarten der Verhandlungen 4
auf die Kippe gestellt und durch Rußlands Kriegsentschlossenheit zum
katastrophalen Abschluß gebracht worden ist. Der geschichtliche europäische
Kosmos ist 1914 in einem Chaos ohnegleichen untergegangen.
Zm Irrgarten der Verhandlungen
Einige Wochen lang wurden im Sommer 1914 zwischen den Staats-
leitungen der Großmächte diplomatische Unterhandlungen gepflogen, die auf
eine Verhütung des Krieges zielten. In fiebernder Spannung verging der
Luliz mit hurtigen Sichelschlägen brachten die geängstigten Völler die auf
dem Halm stehende Erncee ein, ein furchebareres Gewitter überzog den
Himmel, als je die Welt gesehen hatte. AUnd doch schien vielen auch dieser
Gewitterzug nur mit kalten Schlägen und Wetterleuchten zu drohen, als könnte
der Frieden im Herzen Europas überhaupt nicht mehr ernstlich gestört werden.
So sehr war man des geschichtlichen Denkens entwöhnt und von der wirt.
schaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in Anspruch genommen worden.
Osterreich-Angarn hatte Deueschland nach der Ermordung des Thron-
folgers benachrichtigt, daß es weder mit der Würde noch mit der Selbst.
erhaltung der Monarchie vereinbar wäre, dem Treiben jenseies der serbischen
Grenze tatenlos zuzusehen und die Ansicht der deutschen Steaatsleitung über
diese Auffassung erbeten. Deutschland gab dem Bundesgenossen sein Ein-
verständnis mit dieser Einschäcgung der Sachlage zu erkennen und versicherte
ibn, „daß eine Aktion, die er für notwendig halte, um der gegen den Bestand
der Monarchie gerichketen Bewegung in Serbien ein Ende zu machen,
Deutschlands Billigung finden wirrde“.
Deutschland war sich wohl bewußt, daß ein etwaiges kriegerisches
Vorgehen Osterreich-Angarns gegen Serbien NRußland auf den Plan
bringen und Deutschland selbst, entsprechend seiner Bundespflicht, in einen
Krieg verwickeln könnte. Da aber in der Tat Osserreich-Ungarns Lebens.
interessen im Spiel waren und das ungeschmälerte Ansehen und die ver-
minderte Machtstellung Osterreich-Ungarns nach der Lage der Dinge und
angesichts der Einkreisung durch die Außenmächte auch eine Lebensfrage
für Deutschland bildeten, wenn nicht Deueschland der vollkommenen Ver-
einsamung entgegengehen sollte, so mußte Deucschland der Donaumonarchie
Handlungsfreiheit gegen Serbien gewähren. Die deutsche Staatsleitung
hat nach den Akten ihrer Diplomaten an den Vorbereitungen zur Handlung
gegen Serbien keinen Anteil genommen und dem Bundesgenossen in der
Wahl der Mittel freie Hand gelassen (21).
Aus eigener Entschließung hat Osterreich-Ungarn den Weg gewählt,
den es mit der Aufstellung seiner Forderungen und der Aberreichung seiner
knapp befristeten Note einschlug, und es kann als zweifelhaft gelten, ob