50 Aus der Vorgeschichte des Krieges
vem Martin — der Ministerpräsident Viviani befand sich mit dem Präsi-
denten der QRepublik noch auf der Rückreise von einem Besuche in St. Peters.
burg — sofort enttäuscht und mit einer Rechtfertigung der Haltung Rußlands
und dem Hinweis beantwortet, daß Deutschland in Wien handeln müsse,
um militärische Bewegungen zur Besehung Serbiens hintanzuhalten (31).
Deutschland ließ sich durch die Kälte dieser Antwort nicht entmutigen.
Obwohl es die Anschauung vertreten hatte, daß der Streitfall zwischen
Osterreich-Ungarn und Serbien allein ausgetragen werden müssse, griff es
am 27. Juli unmittelbar ein, um den großen Brand zu verhüten (32). Die
deutsche Seaatsleitung ließ in Wien keinen Zweifel darüber bestehen, daß
sie zwar die Bundespflicht erfüllen werde, es aber ablehnen maüsse, sich durch
Nichtbeachtung ihrer WVorschläge durch Osterreich--Ungarn in einen Welt-
brand hineinziehen zu lassen (33). In der Tat erreichte sie auch in letzter
Stunde die Zuskimmung des Wiener Kabinetes zu russisch-Ssterreichischen
Verhandlungen (34). Am 30. Juli äußerte Graf Berchtolb gegenüber
dem britischen Botschafter Sir Maurice Bunsen, daß er zu Verhandlungen
bereit sei. Doch das war erst recht zu spät und Überdies gegenstandslos, da
das innere Zerwürfnis keine äußerliche Behandlung mehr ertrug. Aberholt
erschien auch der Vorschlag Sir Edward Greys, der dem englischen Minister
offenbar von dem franzssischen Botschafter nahegelegt worden war und
darauf ausging, die Bermittlung im serbisch. österreichischen Streitkfall einer
Botschafterkonferenz zu übertragen. Deutschland gab als Osterreichs
Verbündeter seine Zustimmung dazu nicht, da es Osterreich-Ungarn nicht
mit Serbien vor ein européäisches Gericht laden konnte (35), eine Auffassung,
die aus den Verhandlungen über die Anerkennung der Einverleibung Bos-
niens bereits bekannt war. Dagegen war Deutschland bereit gewesen, in
der Ssterreichisch russischen Streitfrage auf einen unmittelbaren Meinungs-
austausch Osterreich--Ungarns und Rußlands hinzuwirken. Zu spät kam
auch ein neuer Vorschlag Greys, Osterreich-Ungarn möchte sich entschließen,
entweder die serbische Antwort auf die Note als genügend zu betrachten
oder als Grundlage fl#r Besprechungen enegegenzunehmen; die österreichisch-
serbischen Feindseligkeiten hatten bereits begonnen, ohne daß Osterreich-
Ungarn in der militärischen Lage gewesen wäre, sofort serbisches Gebiet zu
besetzen und darauf fußend einzulenken und die Hand zur BVerskändigung
mit Rußland zu bieten (36). Ein letzter orschlag Greys, die Verhand-
lungen nach der Besetzung Belgrads wieder aufzunehmen, fiel daher von
selbst in sich zusammen, obwohl ihn die deutsche Regierung ebenfalls an-
genommen hatte und bereit war, in Wien in diesem Sinne zu wirken. Freilich
war es nach Greys eigenen Worten an Buchanan (37) nur eine schwache
Aussicht, den Frieden zu erhalten, aber die einzige, die er sah, wenn Sasonow
sich mie Berlin nicht verständigen könne. Dazu war Sasonow indes keines-
wegs bereit. Aus diesem diplomatischen Irrgarten führte kein Weg mehr