Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

Deutschlands Verhandlungen mit den Westmächten 57 
einstellen oder sich im Falle eines deutsch-russischen Krieges zur Neutralität 
verpflicheen sollte, Forderungen, auf die Frankreich nicht eingehen könne. 
Oiese Formulierung nahm die Antwort vorweg. 
Sir Edward Grey sah dadurch den Bündnisfall gegeben, dessen An- 
rufung er durch seine flugs weitergeleitete Andeutung selbst herausgefordert 
hatte. In diesem Augenblick, also in dem Augenblick, da England, durch Grey 
gebunden, sich bereies als Bundesgenossen Frankreichs betrachtete, traf in 
London ein deutsches Angebot ein, durch welches Deutschland Englands 
Neutralität zu erhalten hoffte. Statt darauf einzutreten, benutzte Grey nun 
die Unterredung, die der Reichskanzler am Abend des 29. Juli mit Goschen 
gepflogen hatte, als Angriffspunkt eines Gegenzuges in seinem diplomatischen 
Spiel. Zunächst richtete er am 31. Juli zwei gleichlautende Schreiben an 
die englischen Botschafter in Paris und Berlin, und stellee darin die Frage, 
ob die französische bzw. die deutsche Regierung bereit sei, sich zur Achtung 
der Neutralität Belgiens zu verpflichten, solange keine andere Macht 
sie verletze (49). 
Frankreich antwortete am 31. Juli durch ein Schreiben Berties an 
Grey (in London eingetroffen am 1. August), die französische Negierung sei 
entschlossen, die Neutralität Belgiens zu achten; nur wenn eine andere 
Macht diese Neutralität verleczen würde, befände sich Frankreich unter dem 
Zwange, anders zu handeln, um der Werteidigung seiner eigenen Sicherheit 
sich zu vergewissern. „Diese Versicherung,“ fuhr das Schreiben fort, „ist 
schon mehrere Male gegeben worden. Der DPräsident sprach davon dem 
König der Belgier, und der französische Gesandte in Brüssel hat dem belgischen 
Minister des Außern die Persicherung heute spontan erneuert“ (50). Aus 
diesen Sägen blickt ein ganzes Gewebe von Unterhandlungen, die der An- 
frage Greys vorangegangen sind. Die Antwort Deutschlands auf die eng- 
lische Anfrage wurde am 31. Juli durch eine vorläufige Mitteilung des 
Staatssekretärs von Jagow eingeleitet, über die Goschen berichtet. 
Lagow eröffnete Goschen auf dessen Anfrage in bezug auf die Frage der 
Neutralität Belgiens, er müsse erst mit dem Kaiser und dem Reichskanzler 
sprechen. Goschen entnahm aus diesen Jußerungen, der Staatssekretär hege 
den Gedanten, welche deutsche Antwort auf die Frage auch gegeben werden 
möge, so möchte sie in einem gewissen Maße den deutschen Feldzugsplan 
enthüllen. Und er — Goschen — zweifle daher sehr, ob überhaupt eine Anc- 
wort gegeben werde. Der Staatssekretär nahm aber, wie Goschen in seinem 
Bericht fortfährt, Vormerkung von den englischen Anfragen. Für Goschen 
ergab sich aus den Bemerkungen des Staatssekretärs, daß die deutsche Re- 
gierung bereits bestimmte seindliche Akte von seiten Belgiens als geschehen 
betrachte. Als Beleg führte der Staatssekretär an, daß eine Kornsendung 
für Deueschland schon jetzt beschlagnahmt worden sei. Goschen schließt seinen 
Bericht mit der Hoffnung, die Erörterung mit dem Staatssekretär am
	        
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