Vom Bruch und vom Mißbrauch der belgischen Neutralität 61
daß die britischen Geschwader sich einer Durchfahrt der deutschen Flotte
durch die Enge von Dover und jeder Handlung gegen die französische Küste
widersehen werden. Das ist um so begreiflicher, als die Nepublik auf
Grund der Abkunft vom Sommer 1912 ihre Glotte im Mittelmeer ver-
sammelt hatte, um dieses für den Dreiverband sicherzustellen. England war
dadurch moralisch verpflichtet worden, die atlantischen Küsten zu schützen.
Das lag auch in seinem eigenen Interesse, da es die Südküske des Kanals
und Flandern als das Festlandsglacis der britischen Inselfestung betrachtete.
Frankreichs Begehren entsprach daher der Lage, die durch die Abkehr Eng-
lands von einer Verständigung mit Deutschland geschaffen worden war.
Englands Teilnahme am Kriege war unvermeidlich geworden.
Am 2. August 1914 hatee Grey die formelle Eimwilligung des Minister-
rats zu seiner Dolitik erlangt und war nun voll ermächtigt, Cambon die
Versicherung abzugeben, daß die britische Flotte den Schutz des Trmel-
kanals und der franzssischen Nordküste übernehme, falls die deutsche Flotte
sich zeige (57). Es war also bis auf diesen Tag von England eine Kriegs.
erklärung an Deutschland vermieden, aber Frankreich eine doppelte Zu-
sicherung gegeben worden, die auf stärkste Waffenhilfe hinauslief. In der-
selben Sigtzung des englischen Ministerrates vom 2. August wurde erwogen —
wiederum im Sinne der Mitteilung Greys an Caombon vom 1. August —,
ob eine Verletzung der belgischen Neutralität als Kriegsfall zu betrachten sei.
Während also die Zusicherung der Flottenbilfe im Falle eines deutschen An-
griffs auf die französischen Küsten unabhängig von der Entwicklung der
belgischen Neutralitätsfrage gegeben wurde und so die militärische Hand-
lungsfreiheit Frankreichs sichergestellt, die Deutschlands unterbunden wurde,
also grundsäglich schon in den entbrennenden europäischen Krieg eingegriffen
worden ist, blieb auf der anderen Seite der Cesus belli vorbehalten und an
die Verletzung der belgischen Neutralität geknüpfe. Das war eine bestechende
diplomatische Lösung des Dilemmas, in das England geraten war.
Als der deutsche Gesandte in Brüssel am selben Tage abends 7 Uhr
dem belgischen Minister des Dußern, Davignon, die Note überreichte, in der
um Zulassung des freien Durchmarsches der deutschen Truppen
ersucht und in diesem Falle die belgische Integrität und Unabhängig.
keit gewährleistet wurde, waren diese Verhandlungen im Schoße des
britischen Ministerrates schon abgeschlossen und die französische Regierung
bereits durch Cambon von der Hilfsbereitschaft der englischen Flotte unter-
richtet (58). Biviani war daher am 2. August — dem Tage, da zwischen
ODeutschland und Frankreich der Kriegszustand eintrat — durchaus in der
Lage, die französischen Kammern von der englischen Flottenhilfe zu unter-
richten. Er sagte damit eher zu wenig als zu viel.
So standen die Dinge, als König Albert sich am 3. August i in einem
Telegramm an den König von England wandte, um die diplomatische Ver.