Auf der Schwelle des Krieges 67
Auf der Schwelle, die vom europäischen Forum in die grenzenlose Weite
dieses Krieges führke, ließ das Auge vollständig im Stich.
England, Frankreich und Rußland glaubten das Schicksal Deutschlands
und Osterreich-Ungarns mit den Waffen und durch die Beherrschung der
Meere bestimmen und ihr tbergewicht rasch und sicher aufrichten zu können,
Deutschland und ÖOsterreich versuchten alles, im strategischen Ausfall die
Einschnürung zu lockern, Bewegungsfreiheit zu erstreiten und wenigssens
einen Gegner niederzuringen.
Als IJtalien zu Beginn der Feindseligkeiten erklärte, daß es neutral
bleiben werde und sich auf den Buchstaben des Oreibundvertrages berief,
der diese Stellungnahme zu rechtfertigen schien, war die Lage Deutschlands
und ÖOsterreich-Ungarns vollends gefährdet. Am 17. August meldete sich
auch Japan zum Wort und stellte als Englands Verbündeter an Deutschland
das Ansinnen, seine Kriegsschiffe aus den japanischen und chinesischen Ge-
wässern zurückzuziehen und bis zum 15. September das Dachtgebiet von
Kiautschou bedingungslos zu übergeben. Zur Beantwortung dieser Auf-
forderung war eine Frist von drei Tagen geseht. Am 23. August erhielt der
japanische Geschäfesträger in Berlin den mündlichen Bescheid, daß die deutsche
Staatsleitung auf die Forderung Japans keinerlei Antwort zu geben habe
und ihren Botschafter in Tokio abberufe. Dem japanischen Geschäftsträger
wurden die Dässe überreicht. Tsingtau weihte sich dem Tode.
Hatte Japan folgerichtig und in kaltblütiger Erwägung der Umskände
gehandelt, ohne eine größere Gefahr laufen zu müssen, so fand die Türkei
den Mut, den Schluß zu ziehen, den ihr die durch den europäischen Krieg
geschaffene Lage aufzwang. Sie nahm das furchtbare Wagnis auf sich, an
die Seite Deutschlands und Osterreich-Ungarns zu treten.
Ein Krieg, in dem die Westmächte Rußlands Verbündete waren, mußte
die Türkei ohne weiteres in Mitleidenschafe ziehen, denn eine unmittelbare
Verbindung der Verbündeten war nur durch die Dardanellen und den Bos-
porus möglich. Es ist eine Jronie der Weltgeschichte, daß dieselben Mächte,
die einst Rußland ins Schwarze Meer sperrten und ihm verboten, die Meer-
engen für militärische Zwecke zu benußzen, nun alles daran sehen mußten,
den Werschiffungen von russischen Kriegslieferungen, der Durchfahrt ihrer
eigenen und russischer Kriegsschiffe die Enge zu öffnen. Dadurch wurde der
Lebensnerv der Türkei getroffen, denn die ungestörte und ungefährdete Be-
berrschung des Bosporus und der Dardanellen ist für den Herrn von Kon-
stancinopel eine Frage, die über Sein oder Nichtsein entscheidet.
Mochten die Balkanstaaten im ersten Augenblick des Geschehens noch
nicht erkennen, daß der europäische Krieg als gefährlichste und folgenschwerste
Frage die nach dem künftigen Besicer der Dardanellen und Konstantinopels
aufwarf, so wurde die Oünkei als Nächstbeteiligter sofort von diesem Ge-
danken ergriffen und handelte danach, auf die Gefahr, von der Ubermacht