Full text: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1)

74 Die militärische Lage Europas 
eingekreist hatte. So ist auch Friedrich im Jahre 1756 als Angreifer er- 
schienen und hat die Entrüstung Europas auf sich gezogen, als er in das nach 
außen neutral gebliebene Kurfürstentum Sachsen einfiel und das sächsische 
Heer zur Ergebung zwang. Auch damals gewann es den Anschein, als 
hätte erst dieser Einbruch die Gegner zu einem großen, aus moralischen 
Gründen geschlossenen Bündnis veranlaßt. Friedrichs Apologet, der Eng- 
länder Carlyle, sagt in seiner Geschichte Friedrichs des Großen davon: 
„Die Größe seines Vorgehens wurde damals betrachtet als etwas, 
das alle Berechnung übersteigt und ihn zum allgemeinen Feind der Mensch- 
beit stempelte, den man teilen, unterdrilcken und fressen müsse. Teilt ihn, 
schmälert ihn, sagten die Großmächte zueinander und sind nun geschäftig 
wie nie zuvor, Heere aufzustellen, zu neuen Bündnissen anzuspornen und den 
allgemeinen Heerbann der Menschheit zu diesem heilsamen Iweck aufzurufen.“ 
Das ist ihnen im höchsten Maße gelungen und hat Osterreich, Frankreich, 
Rußland, Schweden und den alten deutschen Reichstag zu gemeinsamem 
Handeln veranlaßt. Auch damals wurden die Heere der Koalition zum 
konzentrisch vom Umfang zur Mitte vorstrebenden Angriff von Norden, 
Osten, Süden und Westen gegen Preußen in Bewegung geseyt, in der Ab- 
sicht, den Krieg über Friedrichs Grenzen zu tragen und zwischen dem Bran- 
denburger und Stralauer Tor siegreich zu beenden. 
So konnte auch im Jahre 1914 der Aufmarsch der Heere der Entente 
nach vernünftigen strategischen Erwägungen nur aufs Grund eines 
Feldzugsplanes geschehen, der darauf ausging, den auf den inneren 
Linien kämpfenden Gegner in weit ausholenden Bewegungen zu umfassen, 
konzentrisch anzugreifen, zu schlagen und den Krieg im Herzen Deutsch- 
lands und Osterreich-Ungarns zu beenden. Erst wenn ihnen dies unmöglich 
werden sollte, durften sie auf den aus militärischen Unzulänglichkeiten ge- 
borenen Gedanken eines Abnützungs- und Aushungerungskrieges verfallen, 
indem sie befestigte Linien errichteten und eine Belagerung Mitteleuropas 
einleiteten, bis die eingekreisten Mittelmächte dem Druck und der Abschnürung 
erlagen. Doch war dies ein Verfahren, das den Keim des Mißlingens in 
sich trug, weil dem innen Stehenden dadurch die Zertrümmerung des Um. 
fassungsringes durch den Angriff an entscheidender Stelle versammelter 
Kräfte ermöglicht wurde. Glückte das, so mußten die auf den äußeren Linien 
fechtenden Ententemächte ihre Vereinigung exzentrisch zu vollziehen suchen. 
Statt sich im Herzen Deutschlands und des Donaureiches zu begegnen, mußten 
sie die Berbindung durch die Dardanellen und Über Konstantinopel herstellen. 
Die moderne Entwicklung hat den Krieg aus einem Duell lleinerer 
oder größerer Berufsarmeen zu einem Ringen von Nationen gemacht, die 
sich nicht nur in den von ihnen aufgestellten BVolksheeren bekämpfen, sondern 
auch in ihrem wirtschaftlichen Lebensnerv zu treffen suchen. Deshalb ist 
die Freihaltung und Sicherung des nationalen Wirtschafesgebietes eine
	        
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