Noch im letzten Augenblick versucht Erzberger, durch brutale
politische Mittel sein Geschick zu wenden. In dem Prozeß
ist es, soweit die Kunst der Verhandlungsführung diese Be-
schränkung durchzuhalten vermochte, nur um die Person
Erzbergers gegangen. Jetzt ruft dieser Mann das System
für sich auf, wo die Kollegen ihn abschütteln möchten. Er
selber sei das System, das mit ihm stehe oder falle: der ganze
Prozeß sei nur der Kampf der alten Autokratie gegen die
junge Demokratie.
Das ist die Rede zum Fenster hinaus, die Aufpeitschung
der Massen. Für die Richter also ohne Belang. Wenn sie
derweil mit tief gesenktem Kopf „Männekens kritzeln“ oder
mit leeren, müden Augen in mechanisch umgeblätterte Akten
starren, so kann man das ihnen nicht verübeln. Auch für
Helfferichs Schlußrede, die notwendigerweise nun auch in die
politische Kerbe hauen muß, bringen sie kein juristisches
Interesse mehr auf, wenn auch die Offentlichkeit gierig darauf
hinhört. Die Offentlichkeit ist hier versunken. Der Gerichtshof
hat nicht zu entscheiden, wer von beiden, Helfferich oder Erz-
berger, zum Retter des zerstörten Vaterlandes hätte werden
können, wenn man ihm gefolgt oder eher gefolgt wäre, oder
wer von ihnen beiden der Verderber des Reiches gewesen ist.
Vom Gerichtshof wird nur die eine Antwort verlangt; ob
Helfferich mit Recht oder mit Unrecht dem jetzigen Reichs-
finanzminister z. D. vorgeworfen hat, daß er ein Ge-
schäftspolitiker, ein Lügner, ein unanstän-
diger Charakter sei. Das ist, so oder so, festgelegt.
Staatsmänner, Politiker, Geschäftsleute, Schieber, Beamte,
Staatsanwälte, Generaldirektoren, Erfinder, Viehkommissio-
näre, Schriftsteller, Offiziere baben in hellen Haufen beim
Gerichtshof zu treuen Händen ihre Eide abgegeben, und deren
Fazit wird nun bis zum nächsten Freitag, wo die Krteilsver-
kündigung erfolgen soll, gezogen. Am heutigen letzten Tage
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