Struve und Capelle
11. November.
Unter dem Däumlingsvolk war Gulliver ein Riese.
Anter den Sinzheimer, David, Cohn, Schücking war Beth-
mann ein Staatsmann. Anter den Gothein und Struve ist
Capelle ein Frontsachverständiger und Seeheld.
Als Spezialist für gewisse Krankheiten hat der Hautarzt
Dr. med. Struve in Kiel viel mit Matrosen und anderen
Marineangehörigen zu tun gehabt. Da ist ihm sein nautisches
Wissen angeflogen. Er war in jeder Beziehung Vertrauens-
mann seiner Laufkundschaft, die ihm allerlei zutrug, nicht nur
die Klagen über ihre persönlichen Leiden, sondern auch über
die bösen Vorgesetzten. Oh, er weiß Bescheid, der Herr
Dr. med. Struve; „denn er ist klug und weise, und ihn betrügt
man nicht“. Während Capelle heute vernommen wird, be-
kommt Struve einen roten Kopf, so rot, wie das Bülker
Feuerschiff ist, denn die Zahlen von neulich zerflattern mit
dem gesamten Anklagematerial. Aber vor dem hohen Konzil
derer von Schücking bis Cohn will Struve sein fachmännisches
Ansehen wenigstens durch Randglossen retten. Capelle
spricht. Laut, klar, scharf. Struve aber murmelt fortgesetzt,
für alle Amsitzenden vernehmlich, dazwischen. „Du hast ja
keine Ahnung!“ „Mensch, davon verstehst du nichts!“ Und
äShnliches mehr; wörtlich so.
Capelle, der Nachfolger des Großadmirals v. Tirpitz,
oder sein Erbschleicher, wie böse Zungen ihn nennen, ist seit
Jahrzehnten frontfremd gewesen, nur noch Verwaltungs-
deamter der Marine. Gegenüber den Struve und Genossen
wächst er aber plötzlich ins Gigantische; aus dem einfachen
Grunde, weil er ihre Versuche, dem „alten System“ die
9#
35