94 B. Gesetz über den Belagerungszustand.
zu haben. Mag man sich zu der Frage der Rechtsnatur
des § 9b# stellen, wie man will, jeden falls ist es un-
zutreffend, daß der Militärbefehlshaber auf
Grund des § Dimstande sein könnte, Ver-
fassungsgarantien in weiterem Umfange außer
Kurs zu setzen, als ihm das § 5 gestattet, sofern
nicht ein echter taatlicher Notstand vorliegt.
Ist ein solcher gegeben, so gilt das „Grundrecht der
Polizei“, mit dem Lehmann S. 26 die Frage überhaupt
lösen möchte. Sehr zweifelhaft erscheint es mir freilich, ob
er der individuellen Freiheit einen Dienst erweist, wenn er,
von dem richtigen Gedanken ausgehend, „daß im Kriege
vieles für die öffentliche Sicherheit, den Schutz der
Schlagfertigkeit der Wehrmacht und der Volksernährung
Fesbörlcc werden kann, was im Frieden kaum als Be-
lästigung empfunden wird“, eine große Erweiterung des
Grundrechtes der Polizei durch den Krieg feststellen will
und erklärt (S. 27): sin die Militärbehörde im Falle
eines dringenden Bedürfnisses und bei Gefahr im Verzug
ur Inbesitznahme bestimmter Gegenstände schreiten, ja
o gar einen ganzen Gewerbebetrieb für die Heeres-
bedürfnisse in Anspruch nehmen kann“. Eben die, auch
nach Lehmann gar nicht zu entbehrende, Erweiterung
der Befugnisse der Militärbefehlshaber lag aber — das
entspricht dem ganzen Sinn und Zweck des Belagerungs-
zustandsgesetzes — auch sicher der Schaffung des 8 9b
zugrunde. Die Grundidee, die dem ganzen Ausnahme-
gesetz vom 4. Juni 1851 den Stempel aufgedrückt hat, ist
doch die, daß man in der unabweisbaren Erkenntnis, für
außerordentliche Verhältnisse außerordentliche Vollmachten
geben zu müssen, bestrebt war, die Befugnisse des Militär-
diktators wenigstens im Gesetzesparagraphen einzuschließen.
Man hat es vorgezogen, dem Militärbefehlshaber in Ge-
stalt einer Blankovollmacht zu Anordnungen mit Straf-
arakter zu ermächtigen, die nur daran ihre Schranken
finden sollten, daß sie nicht gegen die in § 5 nicht ge-
nannten Verfassungsbestimmungen verstoßen dürften (nega-
tive Schranke) und im öffentlichen Interesse liegen müßten
ositwe Schranke), anstatt es ihm zu überlassen, das
ehr kautschukartige Grundrecht der Polizei bis an die
— sehr flüssige — Grenze des Handelns contra legem