Full text: Illustrierte Geschichte der Sächsischen Lande und ihrer Herrscher. I. Band, 2. Abteilung. Von der Landesteilung von 1382 bis zum Übergange der Kurwürde an die Albertiner (1547). (2)

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Alle drei Richtungen, die antisemitische, die antiaristokratische und die 
antikirchliche, finden einen gemeinsamen Vereinigungspunkt in der Geißler- 
bewegung. Die Flagellanten sind es, die, wo immer sie auftreten und 
die Juden noch ungeschädigt unter obrigkeitlichem Schutze vorfinden, am 
heftigsten den Judenmord verlangen; sie wollen ferner nichts von einer 
geistlichen Obrigkeit unter sich wissen; in der allenthalben von ihnen 
verlesenen Geißelpredigt finden sich versteckte Drohungen gegen die 
Geistlichkeit, und wenn auch der Zutritt von Geistlichen gestattet war, 
so fanden doch in ihrer Vereinigung nur Franziskaner Aufnahme, 
gerade derjenige Orden, der damals noch gegen das Papsttum und 
den römisch gesinnten Klerus feindselig gesinnt war, wenn auch nicht 
mehr in dem Maße wie ein Menschenalter vorher. Dagegen waren 
die Dominikaner, von Haus aus, wie wir wissen, zum Zwecke der 
„Ketzerbelehrung“ gegründet, den Geißlern so verhaßt, daß sie, wie 
uns der in meißnischen und thüringischen Dingen recht wohl unter- 
richtete Heinrich von Hervord, ein Zeitgenosse und übrigens auch ein 
Dominikaner, berichtet, auf der Grenze von Meißen und Bayern, also 
doch wohl im Vogtlande, von zweien dieser Mönche den einen ergriffen 
und steinigten, während den andern nur die Geschwindigkeit seiner 
Beine vor gleichem Schicksale bewahrte. 
So kann es nicht auffallen, wenn das Papsttum ziemlich bald 
sich gegen die Flagellanten erklärte; Clemens VI., der übrigens seinen 
Juden zu Avignon, wo damals das Papsttum seinen Sitz hatte, recht 
wohl Sicherheit vor den Verfolgungen dieser Zeit zu verschaffen wußte, 
erließ am 20. Oktober 1349 eine Bulle, in der er die Geißelfahrten 
einfach untersagte. Dies hatte bezeichnenderweise den merkwürdigen 
Erfolg, der aber dem Kenner der kirchlichen Zustände dieser Zeit mit 
nichten merkwürdig vorkommen wird, daß das Interesse an den Geißel- 
fahrten zunahm, die Popularität der Sache sich mehrte. Aber mit einem 
Male trat ein Umschlag ein; die Behörden, und jetzt nicht bloß mehr 
die geistlichen, sondern auch die weltlichen, wandten sich allenthalben ein- 
hellig gegen die Geißler. Gewiß war ein Grund hierbei maßgebend, der 
vielfach in alten Chroniken erwähnt wird, daß nämlich schließlich doch viel 
Gesindel sich den Fahrten anschloß, obwohl der anfängliche Preis der 
Teilnahme fast auf das Vierfache erhöht war; auch durften dann Frauen, 
ganz im Gegensatz zu den ursprünglichen Satzungen, an den Wall-
	        
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