man des einer adligen Familie Kursachsens entstammenden Johann
von Staupitz, dessen Gelehrsamkeit ebenso wie seine hohe und ernste
Auffassung vom Christentum ihn für Luthers Entwickelung so wichtig
machte; auch sonst hat er als Generalvikar des Augustinerordens viel
guten Samen ausgestreut.
Auf der anderen Seite aber war der Verfall der Kirche unver-
kennbar. Der ungeheure Reichtum, den sie im Laufe der Jahrhunderte
aufgehäuft hatte, trug nicht zur Hebung der vom Mittelalter als be-
sonders christlich empfohlenen Tugenden der Armut und Keuschheit bei.
Neben außerordentlicher Gelehrsamkeit in vielen einzelnen Fällen war die
Geistlichkeit doch in ihrer Allgemeinheit unwissend, neben bewunderns-
werten Mustern von Frömmigkeit fand sich eine vielfach abgrund-
tiefe sittliche Verkommenheit, neben größter Sittenverfeinerung viel
Barbarei und Roheit. Die Schäden der Kirche sind schon im 12. Jahr-
hundert von kundigen Augen gesehen und gerügt worden. Aber nach
manchem Anlauf von Besserung wuchsen die Übelstände doch mit den
Jahrzehnten und die Klagen darüber wurden allgemein. Die schon
erwähnte Konzilsbewegung und die Verhandlungen auf den drei Kon-
zilien zu Pisa, Kostnitz und Basel legen laut dafür Zeugnis. Schon
um die Mitte des 14. Jahrhunderts, ehe also die Konzilien zusammen-
traten, läßt sich der für die Kenntnis von Thüringen schon einmal
als Gewährsmann angezogene Heinrich von Hervord, ein Dominikaner,
über den Zustand der gesamten Kirche, wie er sich nach dem Aus-
gange des großen Kampfes zwischen Papsttum und Kaisertum gebildet
hatte, also vernehmen: „Unter den Geistlichen, dem weltlichen Klerus
und den Mönchen entstand zu dieser Zeit Zwietracht, Empörung, An-
zettelung, Verschwörung und Bündelei überall. Auch die simonistische
Ketzerei riß so im Klerus ein und wucherte so üppig, daß jeder jeden
Standes, hoch, mittel und klein, und jeder Weltgeistliche und Mönch
auf jede Weise offen kaufte und verkaufte jedes geistliche Gut ohne
Scheu, ohne Tadel, geschweige denn Strafe, so daß es scheinen konnte,
als habe der Herr Käufer und Verkäufer nicht aus seinem Tempel
geworfen, sondern in ihn eingeschlossen, und als ob die Simonie nicht
ketzerisch, sondern kirchlich, katholisch und heilig wäre. Die Pfründen,
Amter und alle birchlichen Würden, Pfarrkirchen, Vikariate und Altäre
tauschten sie ein für Geld, für Weiber und selbst für Buhlerinnen,