Full text: Illustrierte Geschichte der Sächsischen Lande und ihrer Herrscher. I. Band, 2. Abteilung. Von der Landesteilung von 1382 bis zum Übergange der Kurwürde an die Albertiner (1547). (2)

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auf einer Fahrt nach Siena und ward dann Beichtvater des 
Herzogs Georg. 
Da der Vertrag zwischen dem Rat der Stadt und dem Schul- 
meister meist nur auf kürzere Zeit, in der Regel nur auf ein Jahr, 
geschlossen war, das Einkommen auch bescheideneren Anforderungen 
nicht immer entsprach, überdies in dieser Zeit ganz besonders der alt- 
germanische Wandertrieb sich geltend machte, so konnte es nicht fehlen, 
daß das Lehrerpersonal mit seinem Rektor oft genug wechselte. Dann 
zogen die Schüler wohl einem von ihnen geliebten Lehrer nach, oder 
der Ruf eines tüchtigen Schulmannes, der an einem Orte länger blieb, 
lockte von anderen Schulen die „Scholaren“ heran. So bildete sich 
ein wandernder Lehrerstand und veranlaßte ähnliche Wanderungen von 
Schülern, wie wir es heute, wenn auch nur annähernd ähnlich, bei unsem 
Universitäten haben, die ja auch nach Maßgabe der Beliebtheit und 
Bedeutung ihrer Lehrer mehr oder weniger besucht sind. Diese wandem- 
den Schüler bilden eine ganz merkwürdige, mit dem Hauche unwieder- 
bringlicher Poesie uns anmutende Eigentümlichkeit des Mittelalters, 
namentlich in seiner zweiten Hälfte. Man wußte in den gedrückten, 
armen und freudeleeren Massen des Volkes, daß man auf den lateinischen 
Schulen wertvolle, ja vielleicht geheimnisvolle Kenntnisse erwerben konnte 
die dem Besitzer zu Ehren, Reichtum und Ansehen verhelfen mußten, 
wie etwa gleichzeitig der deutsche Landsknecht auf den Schlachtfeldem 
Italiens und Frankreichs sich Schätze zu erwerben hoffte. So wurde 
in geheimnisvoller Weise die Lernbegier in der Seele des Volke 
mächtig, und so strömten selbst aus den entlegensten Gebirgsthälern 
Kinder und halbwüchsige Burschen, denen zufällig ein Ton aus jener 
ihnen so fern stehenden Welt verführerisch zu Ohren gedrungen war, 
nach den Städten, in denen sie von einer Lateinschule hatten künden 
hören, ganz unbekannt mit dem, was sie lernen wollten, unbekanm 
mit dem Lehrgange einer solchen Schule, unbekannt, was ihrer auf 
dieser Schule und was ihrer später harren würde. Ein merkwürdiger 
Zug der Unruhe und der Unstäte befiel diese mit der Zeit heimatlos 
gewordenen Kreuzfahrer nach dem gelobten Lande der Wissenschaft 
Wie viele Existenzen zu Grunde gegangen sind, physisch und moralisch 
— wer vermag es zu sagen? Denn vor allem: wer kümmerte sich um 
diese wissensdurstigen, zukunftsfrohen Seelen? Eigentlich ja niemand von
	        
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