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Bewußtsein zu bringen, das Ganze mit seinen Blicken zu umfassen
und doch auch das Kleine nicht aus den Augen zu verlieren, mit
Wohlwollen stark und mit Stärke wohlwollend zu sein. Mit Sachsen
aber trauerte das ganze deutsche Vaterland, an dessen Einheit er
unter den Vorkämpfern mitgeschaffen, dessen Machtstellung nach
innen und außen er als der getreuesten Reichsfürsten einer in
stillem, klugem Walten aufrechtzuhalten in allen Jahren seines
Königtums mitgeholfen hatte.
Noch einmal war es den treuen Sachsen vergönnt, einen
liebenden, tränenumflorten Blick auf ihren wie in stillem, fried-
lichem Schlummer liegenden König zu werfen, als nach der Über-
führung nach Dresden am Abend des 21. Juni die Aufbahrung
in der Schloßkirche erfolgt war, und nun am 22. und 23. Juni
Tausende und aber Tausende in stiller Wehmut und tiefster Er-
griffenheit an den sterblichen Überresten ihres geliebten Königs
vorüberwallten, um zu den sichtbaren Kränzen äußerer Trauer
auch die unsichtbaren der innersten Dankbarkeit und schmerzlichsten
Empfindens zu fügen. Unter jenen Kränzen aber befand sich auch
der der Königin Carola mit dem schlichten und doch so vielsagenden
Worte: „Dem einziggeliebten Manne!“
Am Abend des 23. Juni kündeten Glockenklang und der dumpfe
Donner der Kanonen, daß König Albert zur letzten Ruhe gebettet
wurde. Wohl in voller Zahl waren die Fürsten Deutschlands
gekommen, um ihm die letzte Ehre zu geben, an ihrer Spitze Kaiser
Wilhelm II., der so oft es ausgesprochen hatte, wie viel ihm der
Entschlafene gewesen. Und auch Kaiser Franz Josef war herbei-
geeilt, um von einem wahren, vielleicht seinem einzigen Freunde
Abschied zu nehmen, dessen Verlust ihm um so schmerzlicher sein
mußte, als es in den letzten Jahren immer einsamer um ihn ge-
worden war. Wer immer aber an dieser letzten Feier persönlich teil-
nahm oder mit seinen Gedanken dabei weilte, sagte sich, daß mit
König Albert der Vertreter der glücklichsten Zeit des Sachsenlandes
im 19. Jahrhundert und der ruhmreichsten Periode des gesamten
deutschen Vaterlandes in die Gruft gesenkt wurde. Und wie es
im Armeebefehle des Kaisers Wilhelm hieß: „Im Gedächtnis
des Volkes wird der Held von St. Privat, der Führer der Maas-