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Gemeindegemeinschaft angelegte Hof des ersten Ansiedlers allerdings
auch ein Einzelhof, denn er lag mit seiner Hofraithe auf eigenem
Gebiete, auf allen Seiten von demselben umgeben und, wenn auch
nicht wörtlich inmitten seines Besitzes, doch so, daß die zu ihm ge—
hörende Flur ein geschlossenes Ganze bildete. Das ist, im Gegen-
satze zu der sorbenwendischen Niederlassung im Norden vor dem Ge-
birgsfuße, wie zu den thüringischen und fränkischen Niederlassungen
nördlich und südlich des Thüringer Waldes ein charakteristisches Merk-
mal der Ansiedelung im Erzgebirge.
Der erzgebirgische Einzelhof, mag er nun thatsächlich vereinzelt
liegen, oder im Thallaufe des Baches einer Dorfgemeinschaft angehören,
bietet in den einzelnen noch vorhandenen älteren Höfen ein charakteristisches
Anhalten für die Anlage und Bauart der ältesten Ansiedelungen. Ge-
schlossen und in sich selbständig, wie das ihm zugehörende Land,
bestanden die ältesten Höfe schon aus einer in sich abgeschlossenen
Hoferaithe, auf welcher die Wohn= und Wirthschaftsgebäude in un-
veränderlich gleich bleibender Anordnung bis in die neueste Zeit herein
errichtet wurden.
Schon Tacitus") sagt: „Daß die Völker germanischen Stammes
keine Städte haben, ja überhaupt geschlossenen Wohnsitzen abgeneigt
sind, ist bekannt. Jeder wohnt für sich und von den Nachbarn ent-
fernt, wie gerade ein Quell, ein Feld, ein Gehölz zur Niederlassung
einladet. Der germanische Weiler (Ort, Dorf, Gemeinde) bildet. nicht
die geschlossenen Häuserreihen des römischen Ortes (Dorfes). Ein
Jeder stellt seine Wohnstätte, sein Haus, nach allen Seiten frei hin,
vielleicht zum Schutze gegen Feuersgefahr, vielleicht weil sie überhaupt
nicht zu bauen verstehen. Denn Steinbau mit Kalk ist ihnen ebenso
unbekannt, wie der Gebrauch der Dachziegel. Alles ist von Holz,
unförmig und ohne Rücksicht auf Ansehen oder Schönheit. Einzelne
Theile des Baues werden mit feinem Lehm sorgfältig überzogen
und die geglättete Fläche wird mit Linien= und Farbenverzierungen
geschmückt.“
Dieser Gebrauch, keine geschlossenen Straßen zu bauen, wie in
den römischen Orten, aber auch keine geschlossenen Orte, wie in den
sorbenwendischen Niederlassungen, findet fast ein Jahrtausend später
bei der Besiedelung des Erzgebirges seine volle Bestätigung.
Ueberall in der germanischen Niederlassung besteht die im neu-
erschlossenen Gebiete gegründete Gemeinde oder Dorfgemeinschaft aus
einer aus einzelnen Höfen zusammengesetzten Flur= und Rechtsgemein-
schaft. Die Feldflur mit ihren Hufen ist mit dem Dorfe gleichzeitig
z) Tacitus, Corn., De vita, moribus et populis germaniae, Cap. XVI.
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