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vergoldeter Umfassung gewichen. Photographien von Verwandten
und Freunden haben (besonders in der neuesten Zeit) vielfache Ver-
breitung gefunden, ohne jedoch die altmodischen, buntgemalten Litho-
graphien verdrängen zu können. Aber auch in dieser Beziehung ist
ein Fortschritt zu bemerken.
Blumenstöcke, Bilder, Kränze, Blumengewinde u. s. w. bethätigen
das Bedürfniß, die Wohnung zu schmücken. In mancher Stube ver-
mehrt auch eine Amsel, ein Rothkehlchen, ein Dompfaff oder Gimpel
oder sonst ein Vogel, im Käfig oder ohne Käfig, die Zahl der Bewohner.
Der normale Stand der Wohnungsverhältnisse ist durch die
Zunahme der Bevölkerung und die Abnahme des Erwerbes verschoben
worden, so daß das Zusammenwohnen von zwei Familien in einem
Wohnraume nicht zu den Seltenheiten gehört. Vor kaum 80 Jahren
war dieß, besonders im oberen Gebirge, wesentlich anders. Noch
1817 schreibt Schumann:
„Hier (in Jöhstadt) wie auch in mehreren Orten des Ober-
gebirges ist die Bevölkerung im Verhältniß zur Rauhheit der Gegend
außerordentlich groß. Drei bis vier Familien, jede mit einer Heerde
Kinder, wohnen nicht selten zusammen in einer Stube und geben
gemeinschaftlich den Zins, der für jede wöchentlich einen oder andert-
halb Groschen beträgt, wofür der Wirth aber überdieß das Heizen
besorgt. Wer den Zins nicht baar zahlen will, muß ihn durch Holz--
lesen oder ähnliche Hülfsdienste abarbeiten. Erdäpfel und Kaffee
sind die täglichen Delikatessen des Mittagstisches. Jede Familie hat
ihr besonderes Plätzchen am Fenster, und wenn der Raum es erlaubt,
auch am Heerde. Außerdem muß mit dem Zubereiten des Essens
immer eins auf das andere warten. Eine solche Wirthschaft ist wohl
nicht viel besser als eine polnische.““)
Wenn es nun auch nicht mehr so schlimm ist, wie vor etwa
30 Jahren, wo ein Reisender schreibt: „Es ist keine Fabel, was
man uns erzählt von dem Elend der Leute, die oft zu drei und vier
Familien in einer Stube wahnen, Jung und Alt, Kinder von vier
und fünf Jahren und achtzigjährige Alte am Klöppelsacke sitzend, um
sich das nackte Leben zu erkaufen,““““) so kommt es doch vor, daß
die Großeltern mit Sohn oder Tochter und deren Frau oder Mann
und einer Anzahl von Kindern einen Hausstand bilden, in einer
Goinsiube wohnen und in einer oder zwei dazu gehörenden Kammern
afen.
Die Nahrung der Erzgebirger ist bei weitem nicht so gering
*) Schumann, Ortslexikon. IV. 359 ff.
**) Europa. 1855. No. 50.