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so braucht Deutschland nur noch etwa 3 Millionen Spindeln, um den
eigenen Bedarf zu versorgen, während Großbritannien 34 Millionen
Spindeln zu viel hat, mit deren Erzeugnissen es den Markt der an-
deren Nationen bedrückt. Die Lage der Baumwollenspinnerei hat sich
daher von Jahr zu Jahr verschlechtert, der Fortbetrieb der Spinne-
reien wurde nur mit schweren Opfern und zum Theil durch Be-
schränkung der Arbeitszeit ermöglicht. Die fortdauernde wirthschaft-
liche Krisis in Verbindung mit der wachsenden Verdienstlosigkeit und
der dadurch verminderten Consumtionsfähigkeit, die immer mächtiger
werdende englische Concurrenz, endlich der constante Rückgang der
Rohstoffpreise und die damit in Verbindung stehende Entwerthung
der vorhandenen Lager fertiger und halbfertiger Waaren fanden erst
seit 1880 ein Ende, so daß von da an wiederum normale Verhält-
nisse und ein befriedigender Geschäftsgang eintraten. Das Jahr 1884
gestaltete sich allerdings wieder sehr ungünstig. „In dieser schlech-
testen Periode für die Baumwollenspinnerei blieb englischen Offerten
gegenüber auch deutschen Spinnern nichts übrig, als sich ins Unver-
meidliche zu fügen und Aufträge zu sehr geringen Preisen anzu-
nehmen." Die Lohnspinnerei für Zwischenhändler hatte aber schon
frühzeitig durch mangelhafte Garne den Ruf der Chemnitzer Mule-
Spinnerei für Webzwecke bedeutend geschädigt, und es kostete große
Anstrengungen, diese Scharte wieder auszuwetzen. Die Strumpfgarn-
und Medio-Spinnereien, welche meist mit größeren Geldkräften ar-
beiteten und in ihren Einrichtungen mit allen Fortschritten der Technik
stets gleichen Schritt hielten, arbeiteten meist für den heimischen Be-
darf und bewahrten durch anerkannte Solidität ihren alten, guten
Ruf. Man fabricirte alle Sorten baumwollene Strick= und Häkel-
garne, auch cordonnirte Häkelgarne in roh und gebleicht, gefärbt, bunt
in der Wolle gefärbt; ferner halbwollene Strickgarne in weiß und
bunt; nach Kammgarnsystem bunte (Merino-) Strumpfgarne in den
Nrn. 6 bis 60. Strick= und Häkelgarne, besonders bunte, einfarbige,
finden großen Absatz, vor allem im Deutschen Reiche. Von Web-
garnen waren Kettengarne in den Nrn. 6 bis 32 und prima Water
in den Nrn. 26 bis 32 gesucht. Das Absatzgebiet ist der Zollverein,
ganz Europa mit Ausnahme von Spanien und Portugal, die Ver-
einigten Staaten, Brasilien; die außerdeutschen Länder jedoch nur in
geringem Umfange. Die Strumpfbranche, welche für die heimische
Spinnerei so wichtig ist, lag während des ganzen Jahres 1884 dar-
nieder und die anerkannt guten sächsischen Marken in Strumpfgarnen
wurden vielfach durch minderwerthige auswärtige Gespinnste ersetzt. Erst
in dem letztvergangenen Jahre trat ein nachhaltiger Aufschwung zum
Besseren ein, von dem auch die Baumwollenspinnerei erfaßt wurde.