1860 Napoleon sucht sich Preußen zu nähern. 357
er wiederholte Versuche, bei dem preußischen Regenten ent—
sprechende Tendenzen hervorzurufen. Er sandte freundliche
Winke nach Berlin, daß Frankreich die Erhebung Preußens
zu einer würdigen Stellung im deutschen Bunde mit Freude
begrüßen würde, und wenn dann Preußen eine kleine Grenz-
berichtigung am Rheine zulasse, würde Frankreich ihm eine
reiche Entschädigung, ekwa die Erwerbung Schleswig-Holsteins,
zusichern.
Der Prinz-Regent ließ alle diese Eröffnungen platt zu
Boden fallen, und als dann Ende März die Annexion von
Savoyen-Nizza durch Napoleon unter der amtlichen Erklärung
erfolgte, daß Frankreich an dieser Stelle seine natürlichen
Grenzen wieder gewonnen habe, ging ein tiefer Riß durch
das ganze diplomatische Gewebe. Napoleon hatte vor dem
Kriege Frankreichs hohe Uneigennützigkeit verkündet: jetzt lag
hier die Erwerbung einer stattlichen Provinz, und zugleich
der Wunsch auf die weitere Herstellung der sogenannten na-
türlichen Grenze, also die Eroberung des linken Rheinufers,
offen zu Tage. Die Schweiz und Deutschland sahen sich
gleichmäßig bedroht, und die Aufregung äußerte sich in immer
stärkerem Maaße, als auch in England die Regierung und
die Zeitungen ihr Mißtrauen gegen die gefährliche und unbe-
rechenbare Politik des französischen Imperators aussprachen.
Es war vergebens, daß Napoleon so feierlich wie möglich
seine Friedensliebe betheuerte; Alles, was er erreichte, war
eine Erklärung Lord Palmerston's, daß England zwar keinen
Krieg wegen der Anncxion Savoyens beginnen würde, bei
der Mißbilligung des Ereignisses aber nachdrücklich beharre.
Der preußische Regent, der in dieser Zeit eine Fahrt durch
die Saargegend machte, nahm hier bei einer festlichen